Archive für die Informationsgesellschaft

Allgemein, Nutzung, Überlieferungsbildung

Erste gemeinsame Arbeitssitzung auf dem Deutschen Archivtag 2015

Dr. Christian Keitel (Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart) führte Sitzung mit folgenden Fragen ein: Welche Erwartungen hat die Informationsgesellschaft an die Archive? Welche neuen Aufgaben kommen auf die Archive zu? Sollen die Archive diese anenhmen oder können die Archive es sich leisten, diese abzulehnen?

Paul Flamme (Staatsarchiv Hamburg) stellte die neue Aufgabe für ein staatliches Archiv – das Transparenzportal Hamburg – vor. Seit dem 1. Januar 2015 ist das Hamburger Staatsarchiv zuständig für das Portal, das im Hamburger Transparenzgesetz seine Legitimation hat. Das Gesetz entstand aufgrund einer Volksinitiative im Jahr 2011 und wurde am 6. Oktober 2012 verabschiedet. Es beschreibt den Weg der öffentlichen Verwaltungen vom Amtsgeheimnis zum open data.flamme

Folgende zentralen Punkte wurden festgelegt:
1. eine Auskunftspflicht für Behörden, die mittlere Staatsverwaltung und „öffentliche“ Unternehmen auf Antrag
2. eine Veröffentlichungspflicht für Behörden und „öffentliche“ Unternehmen
3. die beiden Pflichten sind einklagbar
4. die offenen Verwaltungsdaten können kostenfrei nachgenutzt werden.
5. Die Information sind mindestens 10 Jahre im P das Archiv wurde in ortal zu belassen

Die Unterlagen gelangen entweder als bereinigte E-Akten und über Datenbankschnittstellen aus Fachverfahren in das Portal. Die leicht recherchierbaren Rohdaten werden bereits intensiv genutzt. Flamme stellte die Vorteile für das Staatarchiv vor:
– für die Betreuunbg des Portals wurden dem Archiv zusätzliches Personal zuerkannt
– in Verwaltung und Politik als so vertrauenswürdig angesehen, dass es diese neue Querschnittsaufgabe mit Zukunftsperspektive übernehmen sollte
– Synergieeffekte zu Problemstellung bei der digitalen Langzeitarchivierung
– Unternehmensdaten, die bis jetzt noch nicht an das Archiv abgegeben wurden, gelangen nun in den Einflussbereich des Archivs
– Vorbereitung auf die Anforderungen, die das Informationsweiterverwendungsgesetz an Archive stellen wird.
Im Staatsarchiv Hamburg ist eine Bewertungsdiskussion entstanden. Da die Unterlagen aus rechtlichen Gründen bereinigt bzw. geschwärzt wurden, ergeben sich unterschiedliche Positionen. Ferner gilt es auch die Unterlagen genauer zu untersuchen, die aus archivischer Sicht nicht archivwürdig sind, die aber im Transparenzportal veröffentlicht und ggf. nachgenutzt wurden.
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In drei Kurzstatements wurden weitere Aspekte des Gesamtthemas angerissen:

itsDr. Christian Grohs (ITS Bad Arolsen) Vortrag „Ein Archiv – viele Lesesäle.“ stellte die Weitergabe digitalisierter Bestände des ITS an Partnereinrichtungen vor. Das seit 2007 bestehende Archiv des ITS stellt grundsätzlich den 11 am ITS beteiligten Staaten vollständige Datenbank-Kopien zur Verfügung. 7 Länder – USA, Israel, Polen, Großbritannien und die Benelux Staaten – nutzen dieses.Angebot. Ein Abgabe der aktuellen Datenbankversion erfolgt einmal im Jahr. Die Datenbank, entstanden aus den Suchdienst-Anforderungen, ermöglicht zwar eine komfortable Personensuche, aber geographische und thematischen Suchanfragen gestalten sich schwieriger.
Das Projekt weist einige Fallstricke auf:
– die komplexe Datenbank erzeugt einen hohen Betreuungsaufwand, der in den Partnereinrichtungen nicht optimal geleistet werden kann
– die fehlende direkte Kommunikation mit Nutzenden in die Partnerinstitutionen führt zu Friktionen
– obwohl über entsprechenden Metadaten beim Download der Dokumente sichergestellt ist, dass der ITS Eigentümer des Dokumentes ist, führt zu Nutzung an den übrigen Orten zu einem „Verschwinden“ des ITS.-
– die rechtlichen Kontexte für die Nutzung persönlicher Daten ist unterschiedlich.
Demgegenüber erlaubt die Nutzung an unterschiedlichen Stellen, das Benutzungsinteresse zu eruieren und den Problemen z. B. bei der Erschließung der Bestände entgegen zu wirken.
Keitel forderte in der anschließenden Fragerunde das Plenum zum Gedankenexperiment auf, ob man bereit sei, seine Bestände weltweit zur Verfügung zu stellen?
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sanderba
Dr. Oliver Sander (Bundesarchiv Koblenz)  stellte die neuen Nutzergruppen im digitalen Bildarchiv des Bundesarchivs vor. Seit Einführung des digitalen Bildarchivs ist die Anzahl der schriftlichen Anfragen um 450% gestiegen. Als neue Nutzende konnte das Bundesarchiv nun vermehrt begrüßen:
1) ausländische Nutzer
2) in- und vor allem ausländische Medien (Dort ein Anstieg von 40%)
3) kommerzielle Nutzungen. Bilder des Bundesarchivs wurden für die Geschäftsausstattung oder für Weinetiketten genutzt; leider erhielt das Bundesarchiv im letzten Fall kein Belegexemplar.
4) Blogger
5) Ausländische Kultureinrichtungen
6) wissenschaftliche Nutzungen gingen prozentual zurück.
Die inzwischen 9.500 registrierten Benutzer generieren 9 Bildbestellungen pro Tag. Die entsprechenden Einnahmen sind ein „angenehmer Kollateralschaden“ für das Bundesarchiv, ohne dass man dort zu Bildagentur mutieren will.
Trotz des Arbeitsanstieges blieben die Personalressourcen gleich. Unpräzise bis hin zu beleidigender Kommunikation sorgt für Hindernisse in der schnellen Bearbeitung der Anfragen. Der Mißbrauch der Bildrechte sorgt für zusätzliche Arbeit im Justiziat des Bundesarchivs.
Die Erfahrungen beim Betrieb des digitalen Bildarchivs führte im Bundesarchiv zu:
– den Ausbau des gesamten digitalen Angebotes,
– dem Relaunch des digitalen Bildarchivs
– der Vereinfachung der Kommunikation („Leichte Sprache“) mit den neuen Nutzergruppen.
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personalarchiving
Dr. Ralf Lusiardi (Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg) warf die Frage auf, ob  „Personal Archiving“, Archivierung privater born digitals, für die öffentlichen Archive eine Zumutung oder Chance sei. Im angelsächsichen Raum ist der Trend des digitalen „personal archiving“ bereits seit längerer Zeit festzustellen. Seit 2010 finden Konferenzen zum Thema statt. In Informationsseite der Library of Congress gibt ausführliche Hinweise. In Deutschland ist das Thema erst in diesem Jahr in die Fachdiskussion eingedrungen – 9. Detmolder Sommergespräch, 11. Nationaler Aktionstag für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts .
Warum nun sollten Archive tätig werden?
1) Die Verfelchtung von privatem und öffentlich-rechtlichem Schriftgut wird Anfragen der historischen Forschung generieren
2) Archive können als Dienstleister im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe die Vorbereitung von Ergänzungsüberlieferung aktiv in die Wege leiten
3) Archive sind Experten für die Sicherung des gesamten digitalen Kulturerbes. Die Unterstützung von „personal archiving“ kann als Vehikel genutzt werden, um dies öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.
Was ist zu tun?
a) der Aufbau eines allgemeinen, einführenden Online-Angebotes. Für den Aufbau prädestiniert wären der VdA, die BKK und nestor.
b) Aufbau eines zielgruppenorientierten Online-Angebotes (z. B. für Genealogen)
c) direkte Beratung vor Ort.

In der Diskussion wurde auch die digitale Überlieferungsbildung von Vereinen angesprochen. Als ein Beispiel für die direkte Beratung vor Ort mag dies gelten.
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Literaturhinweis: Melanie Engels: Personal digital archiving, Köln 2015

Ein Gedanke zu „Archive für die Informationsgesellschaft

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  1. Zum Personal Digital Archiving siehe nun auch die Masterarbeit von Christian Kuhne (FH Potsdam) unter https://opus4.kobv.de/opus4-fhpotsdam/frontdoor/index/index/docId/1321

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