Das Hauptgebäude des Landesarchivs in Linz (Foto: Makupix, Oberösterreichisches Landesarchiv, CC BY-SA 4.0)
Das Oberösterreichische Landesarchiv soll 2029 von seinem derzeitigen Standort in Linz in das Schloss Bergheim in Feldkirchen an der Donau verlegt werden. Der Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) befürchtet: Die Übersiedlung isoliert das Archiv und steht der demokratischen Teilhabe entgegen, indem der Zugang für Bürger:innen, Schüler:innen, Studierende und Forschende erheblich erschwert wird. In einer Petition wird deshalb zum Erhalt des Landesarchivs am alten Standort aufgerufen.
Anfang April 2025 erklärte der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer, dass das Oberösterreichische Landesarchiv 2029 von seinem derzeitigen Standort in Linz in das Schloss Bergheim in Feldkirchen an der Donau verlegt werden soll. Der Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) befürchtet nun, dass die Verlagerung den Zugang erheblich erschwert: Schüler:innen, Studierende, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Bürger:innen, die Grundbuchsurkunden oder historische Dokumente benötigen, wären betroffen. Workshops, Tagungen und Kooperationen – zum Beispiel mit der Johannes Kepler Universität Linz – würden am neuen Standort stark eingeschränkt oder gar nicht mehr stattfinden können.
Vom 26. bis 28. März 2025 lud das Universitätsarchiv Göttingen in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek zur Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 im VdA (Archive der Hochschulen sowie wissenschaftlicher Institutionen) ein und beging gleichzeitig sein 100-jähriges Bestehen.
Praktischer Auftakt zu aktuellen Methoden – HTR und MSI
Wie bereits 2023 in Magdeburg begann die Tagung mit einem vorgeschalteten Praxistag zu aktuellen Fachthemen. Im ersten Workshop stellte die künftige Goslarer Stadtarchivarin Dr. Sandra Funck die Webanwendung Transkribus vor, mit deren Hilfe KI-Modelle zur Erkennung von Textformaten und Handschriften trainiert werden können. Auf einer Grundlage von etwa 100 durch Menschen entzifferte und digital aufbereitete Seiten (oder etwa 15.000 Wörter) mit möglichst wenig verschiedenen Händen kann bereits sinnvoll ein KI-Modell trainiert werden, das weitere ähnliche Seiten mit recht guter Trefferquote volltexterfassen kann. Dabei werden parallel sowohl ein KI-Modell zur Formaterkennung als auch eines zur Texterkennung eingesetzt und trainiert.
Alternativ können breit aufgestellte Modelle wie „German Giant“ ausprobiert werden, die bereits durch große Kulturinstitutionen mit vielen verschiedenen Daten gefüttert wurden.
Mit derselben Technik arbeitet aktuell ein Projekt des Homöopathie-Archivs am Institut für Geschichte der Medizin in der Robert Bosch Gesellschaft für Medizinische Forschung, zu dem Dr. Marion Baschin informierte. Derzeit wird versucht, den Inhalt von Krankenjournalen der Praxis Samuel Hahnemann (1755–1843) automatisiert zu erfassen und im Metadatenstandard TEI bereitzustellen, um die Erforschung des Teilbestands zu erleichtern. Während immer mehr versierte Archivbenutzer*innen und -mitarbeiter*innen bereits Erfahrung mit KI-gestützter Transkription gemacht haben, gab Dr. Alexander J. Zawacki Einblicke in eine Technik, die bisher nur in größeren Digitalisierungszentren angewendet wird: das Multispectral imaging (MSI). Sie eignet sich für chemisch verunreinigte Schriftdokumente und Gemälde, z.B. nach unsachgemäßer Restaurierung oder zum Herausarbeiten überschriebener Texte einer älteren Zeitstufe bei Palimpsesten. Etwa 20-25 digitale Aufnahmen verschiedener Lichtspektren, häufig im Bereich Infrarot und Ultraviolett, werden dazu von einer Dokumentseite aufgenommen. Im entscheidenden Schritt des Processing werden die Aufnahmen in häufig stundenlanger Arbeit ausgewertet und nachbearbeitet. Bleiben die Materialbedingungen über mehrere Seiten gleich, kann die Verarbeitung über Batch processing automatisiert werden. Ganz sicher hätten sich vergangene Historiker:innen diese Technik für ihre Abschluss- und Qualifikationsarbeiten gewünscht, denn die Ergebnisse sind teilweise sehr beeindruckend. Neue Forschungsergebnisse im Bereich kaum noch lesbarer Quellen, insbesondere auf Pergament und Papier, sind zu erwarten.
Dr. Alexander J. Zawacki erläutert die Grundlagen des MSI (Foto: Teresa Haars)
Wozu Hochschulgeschichte?
Am zweiten Tag versammelten sich über 80 Teilnehmer*innen aus den Archiven von Stiftungen, Forschungszentren, Hochschulen und unabhängigen Archiven in der Paulinerkirche. Der beeindruckende Vortragssaal, der Teile des Altbestands der SUB Göttingen beherbergt, kombiniert ebenso wie das Vortragsprogramm historischen Charme und moderne Technik. Nach der Begrüßung durch Dr. Holger Bergwinkel, Prof. Dr. Inge Hanewinkel, Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Kaufmann und Fachgruppenvorsitzende Dr. Kristina Starkloff eröffnete der Göttinger Ordinarius Dr. Marian Füssel die Vorträge mit der geschichtstheoretischen Frage nach dem „Wozu?“ historischer Betrachtung. Ihr Kern sei der methodenunabhängige Wechsel zwischen der Untersuchung von Ist-Zuständen und Entwicklungslinien. So können auch vordergründig nicht logisch erklärbare Entwicklungen bei genauer (historischer) Betrachtung plausibel werden. Als Beispiel aus der Hochschulgeschichte führte er die zeitlich, örtlich und thematisch eng bei einander liegenden Gründungen der Universitäten Bochum (1962) und Dortmund (1968) an.
In Entscheidungen und Handlungen stellt sich Personen – u. a. in ihrem Zusammenschluss zu Universitäten – immerwährend die Frage: „Was erhalten, was erneuern?“ Die Gründe für die daraus folgenden Handlungen sieht Marian Füssel auf hauptsächlich sechs Bereichen der Hochschulgeschichtsschreibung methodenunabhängig greifbar werden:
Der Wandel der Verfassung und Organisation von Universitäten
Der Ort der Universität in der Gesellschaft
Die Sozialgeschichte der Hochschulangehörigen, also der Lehrenden und Lernenden, Studenten:innen und Professoren:innen, aber auch sonstigen Universitätsbediensteten in Verwaltung und Infrastruktur vom Pedell bis zum Hausmeister
Entwicklung der Praktiken von Lehre, Forschung und Zertifizierung von Wissen
Die symbolische Repräsentation der Universitäten
Die materielle Infrastruktur der Hochschulen
Steht ein Jubiläum des Trägers bevor und ist dazu geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung gewünscht, sollte damit 6-7 Jahre vorher begonnen werden, lautet Prof. Füssels Empfehlung. Allerdings können in dieser Zeit stattfindende Rektoratswechsel nicht zu unterschätzende Erschwernisse für die Planungen darstellen.
Begrüßung durch VertreterInnen der Universität Göttingen und der Fachgruppe (Foto: Klarissa Kollatsch)
Forschungsdaten aus Archivquellen
Vier Vorträge beschäftigten sich mit der Erzeugung digitaler Forschungsdaten. So stellte Prof. Dr. Arnd Reitemeier das Projekt Catalogus Universitatis vor, das – hier liegen die Göttinger also sehr gut in der Zeit – bis zum 300. Universitätsjubiläum im Jahr 2037 abgeschlossen sein soll. Allerdings ist es das Ziel, nicht nur die Daten der Lehrenden, sondern auch der Lernenden zu erfassen. Zwischen 1734 und 1900 hatte die Universität Göttingen etwa 70.000 Studierende. Das Zielformat ist eine MyCore-Datenbank. Ergänzend dazu soll der durch die Zeiten skalierbare Plan der Hochschulgebäude mit Informationen aus Vorlesungsverzeichnissen angereichert werden.
Um das Dominikanerkloster und Gründungsgebäude der Universität Jena kreiste der Vortrag von Dr. Stefan Gerber. Im interdisziplinären Kollegienhof-Projekt werden insbesondere archäologische Objekte, z. B. aus den Professorenmausoleen, erfasst und erforscht.
Im 2023-2026 laufenden Projekt „Promath“ sammeln Tim Lork und Jacob Schneider an der Universität Wuppertal nicht nur die prosopographischen Daten bzw. Factoids zu Mathematikern aus der Wirkungszeit 1920 bis 1960, sondern haben eine Formel zur Quellengewichtung entwickelt, die den reliability value einer Information in der Datenbank bestimmt. Dabei wird jeder Quellenart ein numerischer Wert zugeordnet. Speist sich eine Information aus mehreren Quellen, fallen die numerisch nachgeordneten Quellen durch die Formel prozentual weniger ins Gewicht. Die Berechnung kann auch auf andere anhand unterschiedlich zuverlässiger Quellen erhobene Daten angewandt werden.
Bei den zahlreichen Veränderungen im Arbeitsalltag der Archiv- und Informationswissenschaften ist es nicht immer leicht, alle Möglichkeiten wahrzunehmen, zumal sich die Zusammenarbeit von Archiven auch international verstärkt. Francesco Gelati stellte die europäische Forschungsinfrastruktur DARIAH vor. Neben einem Repository und anderen Angeboten bietet die Unterseite SSHOP Informationen zu Tools für die Auswertung und Visualisierung geisteswissenschaftlicher Forschungsdaten sowie E-Learning-Angebote dazu über Moodle. Interessierte können sich bei der Jahrestagung am 17.-20.06.2025 in Göttingen über den neusten Stand informieren.
„Schaffen wir Möglichkeiten!“ (Hedwig Dohm) – für die öffentliche und interne Wahrnehmung von Archiven
Die Social-Media-Strategie des Archivs der deutschen Frauenbewegung ist kreativ. Wie dadurch nicht nur die Aufmerksamkeit für Frauengeschichte und eigene Veranstaltungen, sondern auch die Vernetzung mit anderen Stellen in Kultur und Politik gefördert wird, erläuterte Laura Schibbe. Das Stiftungsarchiv hat die Vermittlung als eine ihrer drei Kernaufgaben definiert, sodass der Öffentlichkeitsarbeit mehr Ressourcen zur Verfügung stehen als in anderen kleinen Archiven.
Eine gern genutzte Chance für mehr Sichtbarkeit bieten Jubiläen. Von den Vorbereitungen der Philipps-Universität Marburg für ihre 500-Jahrfeier berichtete Dr. Katharina Schaal und hob dabei Festberichte als unterschätzte Informationsquelle hervor.
Im Universitätsarchiv Göttingen selbst wird bereits seit 100 Jahren archiviert. Dr. Holger Berwinkel würdigte die einzelnen Phasen mit seinem quellenreichen Beitrag – von schwierigen Zeiten für die Archivalien im Karzer über die Mitbetreuung des Archivs durch den Universitätspräsidenten Norbert Kamp in den 1980ern bis hin zur regen Nutzung heute.
Ausstellung zur Geschichte des Göttinger Universitätsarchivs am Rande der Tagung (Foto: Teresa Haars)
Im kommenden Jahr 2026 wird die Frühjahrstagung der Fachgruppe im internationalen Rahmen in Prag stattfinden.
Im Bundesarchiv mit seinen 23 Standorten in ganz Deutschland werden mehr als 550 Regalkilometer Akten und Karteien des Bundes und seiner Vorgängerinstitutionen aufbewahrt, außerdem 67 Petabyte Daten, ständig kommt neues archivwürdiges Material hinzu. Beinahe 2.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich an allen Standorten um das gut klimatisierte kulturelle Gedächtnis. Mitarbeiter der VdA-Geschäftsstelle in Fulda konnten jetzt im Rahmen einer Führung einen Blick hinter die Kulissen des größten Standorts in Berlin-Lichterfelde werfen.
Am Standort war früher die zentrale Kadettenanstalt der Preußischen Armee.
In der weitläufigen ehemaligen Preußischen Kadettenanstalt lebten einst mehr als 1.000 Kadetten, heute werden in einem zweckmäßigen Magazingebäude rund 100 Regalkilometer Akten und Karteien aufbewahrt. Im zentralen Benutzungszentrum können Interessierte zudem an Unterlagen der Abteilungen DR (Deutsches Reich) und DDR einschließlich SAPMO (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR) forschen und auch Filme benutzen.
Im Foyer empfingen mit der wissenschaftlichen Archivarin Dr. Maria von Loewenich, der Leiterin der Abteilung Deutsches Reich Anette Meiburg sowie der Referentin im Grundsatzbereich Dr. Angela Abmeier gleich drei Expertinnen, um die Besonderheiten der historischen Liegenschaft inklusive der anspruchsvollen Baumaßnahmen zur Realisierung komplexer technischer Anlagen zum Schutz des Archivguts zu erläutern. Die grundsätzliche Aufgabe der dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstellten Bundesoberbehörde ist leicht umrissen:
Von links: Thilo Bauer (VdA), Anette Meiburg (Bundesarchiv), Dr. Maria von Loewenich (Bundesarchiv), Hermann-Josef Klüber (VdA), Dr. Angela Abmeier (Bundesarchiv) und Marius Auth (VdA).
Öffentliche Stellen des Bundes haben dem Bundesarchiv nach dem Bundesarchivgesetz ihre Unterlagen anzubieten, wenn sie diese für die Erfüllung ihrer Aufgaben nicht länger benötigen oder ihnen die weitere Aufbewahrung nicht gestattet ist. Das Bundesarchiv entscheidet dann über die Archivwürdigkeit – und obwohl im Schnitt nur zehn Prozent der angebotenen Unterlagen sich als archivwürdig erweisen, entstehen über die Jahrzehnte riesige Mengen. Die erfreuen nicht nur Archivare und Archivarinnen, sondern auch geschichtsinteressierte Bürgerinnen und Bürger: In den Lesesälen können Archivalien studiert werden, Digitalisate viel genutzter Archivalien sind ebenso online verfügbar.
Hermann-Josef Klüber von der VdA-Geschäftsstelle mit Archivarin Dr. Maria von Loewenich
Während die Unterlagen traditionell in analoger Form in den Dienststellen des Bundesarchivs aufgelaufen sind, werden heute zunehmend genuin digitale Datensätze angeboten, die ebenso streng bewertet werden, bevor sie den Bestand des Bundesarchivs ergänzen. Der Grundsatz der Bewertung bleibt gleich: Wesentliche Entscheidungen müssen ihren Niederschlag in den Akten finden, um diese archivwürdig zu machen. So werden zukünftige Generationen befähigt, wesentliche Merkmale und Zusammenhänge der heutigen, aber auch vergangener Gesellschaften nachzuvollziehen.