FÜR EINE STÄRKUNG DES TEILSEKTORS „KULTUR“ IM DACHGESETZ KRITIS
ein Gastbeitrag von Blue Shield Deutschland
Mit der Initiative für ein Dachgesetz KRITIS, die im Dezember 2022 durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser verkündet wurde, will die Bundesregierung „eine bundesgesetzliche Regelung zum physischen Schutz Kritischer Infrastruktur“ schaffen. Es ist vorgesehen, die Kritischen Infrastrukturen (KRITIS), auf die sich das Gesetz beziehen soll, zu identifizieren. Laut dem zugehörigen Eckpunktepapier „wird auch der KRITIS-Sektor „Kultur und Medien“ angemessen einbezogen.“ Dieser Zielsetzung wird der vorliegende Referentenentwurf vom 28.07.2023 aus Sicht von Blue Shield Deutschland nicht gerecht. Der KRITIS-Sektor „Medien und Kultur“ wird lediglich in § 5 Absatz 2 in einer Aufzählung mit anderen „Bereichen“ aufgeführt bzw. wird nicht unterschieden zwischen der Einstufung als KRITIS-Sektor und den anderen Bereichen. In der Begründung zu § 5 Absatz 2 werden die weiteren Einrichtungen, die in Deutschland „für Wirtschaft und Gesellschaft wichtig und schützenswert“ sind, wie z. B. die Kulturgut bewahrenden Einrichtungen des Teilsektors „Kultur“, nicht erwähnt. Die Erläuterungen im 1. Absatz der Begründung zu § 5 Absatz 2 stehen in keinem inhaltlichem Zusammenhang mit dem Teilsektor „Kultur“ und die Erläuterungen im 2. Absatz wiederholen lediglich den Gesetzestext in § 5 Absatz 2. Nach unserer Einschätzung kann hierdurch der Eindruck entstehen, dass der Teilsektor „Kultur“ kein vollwertiger Bestandteil der Kritischen Infrastrukturen in Deutschland ist, eine problematische Entwicklung für die Kulturgut bewahrenden Einrichtungen.
Wir betonen, dass Kulturgut und Kulturgut bewahrende Einrichtungen Bestandteil der KRITIS sind. Die Beschädigung, Zerstörung und der Verlust von Kulturgut haben dramatische Folgen für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft, auch wenn ihr Ausfall keine unmittelbare Auswirkung auf „Leib und Leben“ der Bevölkerung hätte. Sie sind zu schützen,
• weil „aufgrund ihrer kulturellen und identitätsstiftenden Bedeutung ihre Zerstörung eine Gesellschaft emotional erschüttern und psychologisch nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen kann“
• weil Kulturgut das kulturelle, kollektive Gedächtnis von Gemeinschaften bildet und Kulturgut bewahrende Einrichtungen den Zugang zu historischen Informationen für eine mündige, demokratische Gesellschaft sichern
• weil Kulturgut zu den kulturellen und materiellen Vermögenswerten Deutschlands gehört, und daher vor Zerstörung, Beschädigung oder Verlust zu schützen ist.
Neben diesen allgemeinen Funktionen unterstützen die verschiedenen Arten von Kulturgut und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen unser Gemeinwesen durch ihre spezifischen Aufträge. • Die dauerhafte Absicherung von Unterlagen mit bleibendem Wert ist eine gesetzliche Pflichtaufgabe eines Archivs: Diese Aufgabe gewährleistet Rechtssicherheit und hält die Dokumentation der „Kontinuität in Recht, Verwaltung und Politik“ aufrecht. Somit schaffen Archive die Grundlagen einer beweissicheren Rechtsprechung für die Regierung und Verwaltung, der Sicherung berechtigter Belange betroffener Personen und Institutionen und weiterhin auch einer quellengestützten historischen Forschung über die Entstehung und Entwicklung unseres Landes und lokaler Gemeinschaften.
• Bibliotheken bewahren weite Teile des schriftlichen und gedruckten Kulturerbes Deutschlands. Sie garantieren zudem rechtlich gesicherte Zugänge zu Informationen und unterstützen so die Handlungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft, Wirtschaft und Bildung in Krisenzeiten. Bedeutende historische Bestände und über Jahrhunderte tradierte Pflichtexemplarrechte bilden den Grundstein zur Sicherung der Wissensbestände der Vergangenheit und der Zugänglichkeit des Wissens in der Gegenwart.
• Museen sammeln und bewahren die materielle Überlieferung von Kultur und Natur, sie dokumentieren darüber hinaus das immaterielle Kulturerbe. Damit liefern sie die unverzichtbare Grundlage für die Erforschung der Vergangenheit und zur Gewinnung von Einsichten in zukünftige Entwicklungen. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung sind beispielsweise im deutschen Kulturgutschutzgesetz alle Sammlungsobjekte öffentlich finanzierter Kulturgut bewahrender Einrichtungen als „nationales Kulturgut“ vor Verlust durch unrechtmäßige Verbringung aus Deutschland geschützt.
• Unser denkmalgeschütztes Kulturgut begründet als Zeugnis menschlichen Wissens und Könnens unser gemeinsames kulturelles Erbe. Es verkörpert Traditionen, Werte und Selbstverständnis unserer Gesellschaft; in Gestalt von Bau- und Bodendenkmalen vermittelt es als historisch gewordene, vertraute Umwelt Halt in Zeiten des rasanten Wandels. Unser kulturelles Erbe ist somit von existentieller Bedeutung für unsere Gesellschaft und Teil der KRITIS
Obwohl diese Funktionen für die jeweiligen Sparten weithin anerkannt und kommuniziert sind, haben sie bisher unzureichenden Eingang in die öffentliche Planung für das Krisenmanagement gefunden. Blue Shield Deutschland ist sich bewusst, dass nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Länder für die Kultur und damit auch für Kulturgüter und die Kulturgut bewahrenden Einrichtungen zuständig sind, der Bund dagegen nur über sehr eingeschränkte Kompetenzen in diesem Bereich verfügt. Dies begrenzt die Regelungen, die das Dachgesetz KRITIS für den Teilsektor Kultur treffen kann. Gleichzeitig wird das Dachgesetz aufgrund seines grundlegenden Charakters die Wahrnehmung darüber prägen, welche Sektoren für unser Gemeinwesen entscheidend sind. Da der Referentenentwurf bisher auf eine grundsätzliche Listung aller kritischen Sektoren verzichtet, kann der Eindruck entstehen, dass der Sektor „Kultur und Medien“ nicht mehr Teil der KRITIS ist. Um diese negative Entwicklung zu vermeiden, empfehlen wir die Einfügung einer solchen Aufzählung, für den Teilsektor „Kultur“ natürlich verbunden mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Länder, wie in § 5 Absatz 2 des Referentenentwurfs angelegt. Weiterhin sehen wir einen deutlichen Nachbesserungsbedarf bei der Begründung zu § 5 Absatz 2. Diese sollte den Teilsektor Kultur sowie die Schutzwürdigkeit von Kulturgütern und Kulturgut bewahrende Einrichtungen explizit erwähnen und deren Bedeutung für das Gemeinwesen aufbauend auf dem bestehenden Einvernehmen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der KRITIS-Strategie feststellen.
Neben der oben ausgeführten Bedeutung von Kulturgütern und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen begründen wir diese beiden Änderungsvorschläge mit folgenden Punkten:
• Auf Bundesebene gibt es Kulturgut bewahrende Einrichtungen, für die eine Zugehörigkeit zur KRITIS geprüft werden sollte. Hierzu gehören u. a. das Bundesarchiv, Bibliotheken und Museen in Trägerschaft des Bundes (darunter das Deutsche Historische Museum, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Nationalbibliothek, die Bibliothek des deutschen Bundestages) und der Zentrale Bergungsort im Oberrieder Barbarastollen.
• Die Länder sollten stärker ermutigt werden, eigene Regelungen – bestenfalls in einem miteinander abgestimmten Vorgehen – zu treffen. Dies könnte z. B. im Rahmen der Brand- und Katastrophenschutzgesetze erfolgen.
• Es sollte angeregt werden, die teils veralteten Listen der Kulturgüter, die unter dem Schutz der „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ (1954) stehen, zu überprüfen und etwaige Schutzmaßnahmen im Kontext des Dachgesetzes KRITIS neu zu bewerten.
• Es gibt zahlreiche Anlagen der KRITIS, die nach den Denkmalschutzgesetzen der Länder als Denkmäler gelistet sind. Es sollte ein fachlicher Austausch angeregt werden, um Synergien zwischen KRITIS und Denkmalschutz zu stärken und potentielle Konflikte zu vermeiden.
Durch die Berücksichtigung unserer Änderungsempfehlungen sichert das Dachgesetz KRITIS den gegenwärtigen Stand des Kulturgutschutzes im Rahmen der kritischen Infrastrukturen.
Blue Shield Deutschland Dieses Positionspapier wurde durch den Vorstand des Deutschen Nationalkomitee Blue Shield (Blue Shield Deutschland) e.V. entwickelt. Blue Shield Deutschland setzt sich auf nationaler und internationaler Ebene für den Schutz von Kulturgut gemäß der Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 (Haager Konvention) ein. Darüber hinaus setzen wir uns für regionalen, nationalen und internationalen Kulturgutschutz ein und stärken dessen Reaktionsfähigkeit in Krisen- und Friedenszeiten. Hierfür vernetzen wir Akteure aus den Bereichen des Kulturerbes und des Krisenund Notfallmanagements. Diese Ziele verfolgen wir zusammen mit unseren sechs konstituierenden Mitgliedern und ihren weit über 12.000 Mitgliedern: dem Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. (VdA), dem Deutschen Bibliotheksverband (dbv), der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz (DGKS), dem Deutschen Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates ICOM, dem Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS und der Deutschen UNESCO- Kommission.
Der Archivstandard „Archivierung von Studierendendaten aus Fachverfahren” nestor-materialien 25 definiert die Überlieferungsbildung aus den an Hochschulen zur Verwaltung der Studierenden eingesetzten datenbankbasierten Fachverfahren. Enthalten sind Richtlinien zur Gestaltung des Übergabeprozesses wie auch zur Strukturierung der der übernommenen Daten für die Archivierung. Optional in die Überlieferungsbildung zu integrierten Dokumenten wird ein Ort in der Ablagestruktur zugewiesen. Ein als Anhang beigefügter Bewertungskatalog benennt die als archivwürdig angesehenen Inhalte der Fachverfahren. Eine Ausprägung der zu übernehmenden Daten in XML wird in einem anhängenden Muster demonstriert. Ebenfalls beigefügt ist das Muster einer XML Schema Definition.
Ansprechpartner: Dr. Klaus Nippert Karlsruher Institut für Technologie (KIT) KIT-Archiv – Wissenschaftlicher Leiter E-Mail: Klaus.Nippert@kit.edu
Vom 5. bis 9. Juni 2023 findet zum fünften mal die Internationale Archivwoche (#IAW2023) statt. Organisiert wird die IAW durch den Internationalen Archivrat (ICA), der in diesem Jahr sein 75jähriges Bestehen feiert.
Die für diese Woche geplanten Aktivitäten zielen darauf ab, unterschiedliche Stimmen zum Nachdenken über die Geschichte der ICA zu gewinnen, Diskussionen über ihre Zukunft und Vision zu eröffnen und anzuregen und im Geiste der Zusammenarbeit die Erfolge und Beiträge derjenigen zu feiern, die zum Aufbau des vielfältigen internationalen beruflichen Netzwerks beigetragen haben.
In diesem Jahr besteht das Webinarprogramm aus fünf Hauptsitzungen , die verschiedene Diskussionsthemen behandeln. Am ersten Tag der Woche eröffnet das ICA die Internationale Archivwoche mit einem speziellen Webinar über die Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen auf die Archivarbeit . Bei dieser Veranstaltung handelt es sich um ein virtuelles Gespräch mit den gewählten Amtsträgern des ICA darüber, wie Archivinstitutionen, wie viele andere Kulturorganisationen auch, ihre Arbeitsweise verändern.
Am zweiten Tag wird die Sektion für Menschenrechte und Archive ein virtuelles Panel veranstalten, bei dem vier geladene Gäste, darunter der ICA-Präsident, diskutieren werden, wie sich die Verbindung zwischen Menschenrechten und Archiven in den letzten 20 Jahren seit ihrer Gründung entwickelt hat Fachabteilung des ICA .
Am dritten Tag veranstalten die ICA-Fachsektionen eine Präsentationssitzung für alle afrikanischen Kollegen, um ihnen vorzustellen, wie sie sich in diesen ICA-Gruppen engagieren können. Der Tag endet mit der Vereinigung lateinamerikanischer Archivare (ALA) , die anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums ein Webinar in Zusammenarbeit mit der Fachwelt in der Region veranstalten wird.
Am vierten Tag schließlich veranstalten die Active New Professionals 2023 einen virtuellen Vortrag, bei dem sie ihr Projekt vor dem Kongress in Abu Dhabi den Berufseinsteigern und Berufseinsteigern vorstellen.
Diese Sitzungen sind kostenlos und für alle offen. Melden Sie sich also unbedingt an!
Für weitere Informationen zu #IAW2023 oder #ArchivesUnited kontaktieren Sie das ICA direkt unter communications@ica.org.
Vom 23. bis zum 24. März 2023 fand in der anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg die Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 im VdA statt. Gastgeber für ca. 80 Teilnehmer:innen war das Universitätsarchiv Magdeburg der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Auf Wunsch der Teilnehmer*innen, startete die Frühjahrstagung bereits einen Tag zuvor mit virtuellen Foren. Schwerpunkte bildeten aktuelle Fragestellung. So informierte Klaus Nippert (KIT-Archiv Karlsruhe) über den aktuellen Stand der Arbeiten am Nestor-Standard Studierendendaten. Lisa Witowsky (Universitätsarchiv Bayreuth) stellte die von ihr erarbeitete Richtlinie zur Aussonderung von Personalakten an der Universität Bayreuth zur Diskussion. Katrin Hauenschild (MID Sachsen-Anhalt) gab einen Einblick in die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes im Hochschulbereich. Auf großes Interesse stieß das Forum „Verbünde zur Digitalen Archivierung. Aufbau, Stand und Perspektiven“. Vertreter der Hochschularchive Bayerns (Andreas Becker), Baden-Württembergs (Regina Keyler), Hessens (Joachim Hendel) und Nordrhein-Westfalens (Hendrik Friggemann) berichteten in kurzen Vorträgen über ihre Verbünde. Deutlich wurde, dass im Hinblick auf Struktur und Herangehensweise unabhängig von der eingesetzten Software (außer NRW setzten alle die Softwarelösungen von DIMAG ein) alle Verbundlösung individuelle Merkmale aufweisen. Alle vier Referenten empfahlen nachdrücklich, sich rechtzeitig mit den Entscheidungsträgern über die Finanzierung der Elektronischen Archivierung in Verbindung zu setzen.
Die Eröffnung der Tagung in Präsenz erfolgte durch die freundlichen Grußworte der stellvertretenden Kanzlerin der Otto von Guericke-Universität und des gastgebenden Archivs. Den Eröffnungsvortrag hielt Robin Mishra, Direktor Kommunikation beim Bundesarchiv. Er gab einen Überblich über verschiedene Bereiche der Öffentlichkeitsarbeit seiner Einrichtung. Das Ziel, ein öffentliches Bewusstsein für die Arbeit des Bundesarchivs zu schaffen, manifestiert sich in einer enormen Bandbreite von Vermittlungswegen. Die Diskussion entzündete sich im Anschluss u.a. an den von Robin Mishra benannten Ankerpunkten der Öffentlichkeitsarbeit und der Frage der politischen Neutralität von Archiven.
Andreas Becker (Universitätsarchiv Regensburg) stellte seinem Referat zum Thema „Archive ohne Lobby“ seine Anfrage an Chat-GPT über Archive voran. Indem er auf die Divergenz der Bedeutung des Worts „Lobbyismus“ von Archiven und ihrer öffentlichen Wahrnehmung verwies, stellte Becker die Frage nach der Zukunft der Archive: Jede Gesellschaft müsse den Wert ihrer Kultur/ihres Kulturgutes neu verhandeln. Archive müssten somit die Gesellschaft von der Bedeutung des von ihnen verwahrten Kulturgutes überzeugen. In der Diskussion wurde der Vorschlag Beckers, auf der Basis von Kennzahlen im Gespräch mit den Archivträgern zu bleiben, aufgenommen und angeregt, einheitliche statistische Daten für die Hochschularchive zu erheben.
Die sich anschließenden Impulsreferate gaben einen Einblick in ausgewählte Initiativen archivischer Öffentlichkeitsarbeit. Während Sandra Schleinitz (Universitätsarchiv Magdeburg) von der Konzipierung und Umsetzung der Internetpräsentation des Magdeburger Universitätsarchivs berichtete, stellte Stefan George (Universitätsarchiv Mainz) das Twitter Projekt zum Hochschuljubiläum vor, welches in enger Zusammenarbeit mit den Mainzer Historikern durchgeführt wurde. Trotz des nicht zu unterschätzenden Aufwandes sei das Projekt als erfolgreich zu bewerten, da es mit den historischen Themen auch das Archiv in den Fokus der universitären Öffentlichkeit rückte. Über den gemeinsamen virtuellen Tag der Archive der Universitätsarchive Chemnitz, Dresden und Leipzig berichtete Judith Matzke (Universitätsarchiv Dresden). Obwohl das Angebot auf eine sehr geringe Resonanz stieß, erwies sich letzten Endes die Initiative zumindest für das Dresdener Archiv erfolgreich, welches auf diese Weise einen Praktikanten für das Archiv rekrutieren konnte. Damit war der Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit als Mittel der Fachkräftegewinnung bereits benannt.
Die Postersession und die anschließende Diskussion widmeten sich dem Thema des „idealen Lesesaals“. Ein Ergebnis war, dass das Format kaum für das Entwickeln von Utopien genutzt wurde, sondern nur minimale Verbesserungsvorschläge der bestehenden Lesesäle vorgebracht wurden.
Den ersten Tagungstag beendete der informative und sehr unterhaltsame Vortrag von Frank Hadler (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa) mit dem Titel „Ohne Quellen geht’s nicht … 40 Jahre Archiverfahrung zwischen Brno, New York und Leipzig“. Der Historiker erzählte von seinen Archivaufenthalten vor und nach dem politischen Umbruch unter Fokussierung auf seine Erfahrungen mit Archivar:innen und ihren Rollen gegenüber wissbegierigen Nutzern. Hadler sprach der archivarischen Zunft seine Anerkennung aus und appellierte an die Archivträger, die Archive mit Personal zu besetzen, welches über das erforderliche Expertenwissen verfügt.
Der zweite Tag begann mit der Fachgruppensitzung und der aktuellen Stunde. Die beiden Vorsitzenden der Fachgruppe 8, Kristina Starkloff (Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin) und Anja Kürbis (Universitätsarchiv Ilmenau) informierten v.a. über anstehende Termine, den Relaunch der VdA-Webpräsenz und damit auch der Webpräsenz der Fachgruppe. Im Anschluss berichteten Klaus Nippert (KIT-Archiv Karlsruhe) vom Stand der Arbeiten am Nestor-Standard Studierendendaten und Frau Elisabeth Klindworth (Archiv der Max-Planck-Gesellschaft Berlin) über den KLA-Workshop „Think DIP – Access zu digitalem Archivgut“, Jürgen Bacia (afas) über den Stand und die Perspektive des Archivs für alternatives Schrifttum (Duisburg) und Anja Kürbis (Universitätsarchiv Ilmenau) über die Aktivitäten der AG Campus Records Management.
Die Tagung endete mit einer Podiumsdiskussion, die sich der Frage: „Archiv kann jeder?“ und dem derzeit in allen Archivsparten diskutierten Problem des Fachkräftemangels widmete. Unter der Moderation von Sabine Happ (Universitätsarchiv Münster) diskutierten Katharina Tiemann (LWL-Archivamt), Sandra Schleinitz (Universitätsarchiv Magdeburg) und Hendrik Friggemann (Universitätsarchiv Duisburg-Essen) über die mit dem Fachkräftemangel einhergehenden Probleme, mögliche Perspektiven und Lösungswege. Katarina Tiemann betonte die Notwendigkeit, ein „qualifiziertes Aus- und Weiterbildungsprogramm für das deutsche Archivwesen“ mithilfe von Modularisierungen einzurichten. Hendrik Friggemann erklärte, dass die Attraktivität der Stelle und des Berufes sichtbarer gemacht werden sollte. Grundsätzlich würden in den Archiven verstärkt Quereinsteiger zum Einsatz kommen, worauf sich die Archivcommunity z.B. durch Weiterqualifikationsmöglichkeiten vorbereiten müsste, indem sie z.B. durch das Angebot, die fehlende Qualifikation nachzuholen.
Das Rahmenprogramm, bestehend aus einer Führung durch das Universitätsarchiv Magdeburg und eine Stadtführung, rundeten die Fachtagung ab.
Die Tagung war hervorragend organisiert durch das kleine und äußerst engagierte Team des Magdeburger Universitätsarchivs unter der Leitung von Carmen Schäfer. Ihr, ihrer Mitarbeiterin Sandra Schleinitz sowie der Otto-von-Guericke-Universität gilt unser herzlicher Dank! Ebenso gedankt sei Stefan Luther (Universitätsarchiv Chemnitz), der erneut für die Onlinepublikation der Vortragsfolien und/oder Referate auf dem Publikationsserver der Universität Chemnitz verantwortlich zeichnet. Der Link wird auf der Webpräsentation der Fachgruppe veröffentlicht.
Als Autorin dieses Tagungsberichtes sei mir noch ein persönliches Wort erlaubt: Die Magdeburger Frühjahrstagung zeigte einmal mehr, wie engagiert und aktiv die Community der Archivar*innen der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen ist. Es war mir eine Freude, Mitglied dieser Fachgruppe sein, gemeinsam mit den Kolleg*innen an fachlichen Themen zu arbeiten und als Ko-Vorsitzende die Geschicke dieser Fachgruppe lenken zu dürfen. Ich wünsche der Fachgruppe und ihren Mitgliedern alles Gute!
Stündliche Luftangriffssirenen, eine ständige Bedrohung des Lebens durch Beschuss – das ist die Lage im Osten der Ukraine. Zehntausende Menschenleben hat der Krieg bisher gefordert, Wohngebäude, Schulen, Krankenhäusern und weite Teile der Infrastruktur sind geschädigt. – Die Kultur wird davon nicht ausgenommen. Besonders betroffen von den Zerstörungen ist auch das kulturelle Erbe der Ukraine. Aktuell erreichen uns Nachrichten und Hilferufe aus der ostukrainischen Stadt Kharkiv, dass zahlreiche Museen durch direkte Raketentreffer zerstört oder durch die Druckwellen stark beschädigt sind. Die Sammlungsobjekte müssen aus den Häusern vollständig evakuiert werden. Hierfür braucht es Verpackungsmaterial, Transportkapazitäten und Kraftstoff, für deren Sicherstellung vor Ort jedoch oftmals die Kapazitäten fehlen. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, auf die Hilferufe der ukrainischen Museen zu reagieren und leisten einen wichtigen Beitrag, das Kulturerbe der Ukraine für deren Gesellschaft und die Zeit nach dem Krieg zu retten. Blue Shield Deutschland unterstützt mit seinen Partnern die Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, das dortige Kulturerbe zu sichern. Hierfür sammeln wir erneut Geldspenden, die für den gezielten Kauf der benötigten Materialien oder der Organisation von Transporten genutzt werden. Helfen Sie uns dabei
Spende via Überweisung: Deutsches Nationalkomitee Blue Shield e.V. IBAN: DE59 1005 0000 0190 7671 46 BIC: BELADEBEXXX Verwendungszweck: Spendenaktion Ukraine
Kontakt für Rückfragen: Susann Harder, Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees Blue Shield e.V. E-Mail: harder@blue-shield.de Webseite: www.blue-shield.d
Es dauert nicht lange und tut auch nicht weh: An der anonymen Umfrage zu Planung und Management im deutschsprachigen Archivwesen (alle Archivsparten) kann noch bis zum 1.5.2023 teilgenommen werden: https://archivamt.hypotheses.org/19514 via
Der nachstehende Tagungsbericht versteht sich als Ergänzung und Erweiterung eines Tagungsberichts im ARCHIVAR, der Anfang 2023 erscheinen wird. Die dort besprochenen Tagungsbeiträge werden im Folgenden ausgespart et vice versa, sodass es sich bei dem vorliegenden Bericht tatsächlich nicht um eine redundante, sondern um eine „komplementäre“ Text-Ressource handelt. Der Bericht wird ergänzt um zwei wertvolle Beiträge, die der Autor bei zwei „Zeitzeugen“ initiieren konnte, die von Beginn an die Infora Jahrestagungen E-Akte begleitet und in Teilen auch mitgestaltet haben: Bruno Höller und Rainer Ullrich. Somit soll hier innerhalb der archivarischen „Community“ der Anstoß gegeben werden, sich nicht nur mit der Frage nach der Software zu beschäftigen, die eine digitale (Schriftgut-)Verwaltung ermöglicht, sondern auch mit den Unternehmen und den Personen, die derartige Software entwickeln und vertreiben. Schließlich ist dieser hier angestoßene Themenkomplex ein integraler Bestandteil der Geschichte der behördlichen Schriftgutverwaltung in Deutschland respektive im deutschsprachigen Raum, ja der deutschen Verwaltungsgeschichte im Allgemeinen.
Gegenstand der folgenden Ausführungen ist also die Infora Jahrestagung E-Akte, die im Herbst 2022, am 14. und 15. September, nach zweijähriger, pandemiebedingter Präsenz-Pause wieder vor Ort in Berlin – genauer: im dbb forum an der zentral gelegenen Friedrichstraße – stattfinden konnte. Willkommen waren den Teilnehmenden nicht nur die zahlreichen Vorträge in insgesamt sechs zeitlich hintereinander gereihten Themen-Foren, sondern auch die Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen und Austausch in den Pausen.
Auch diese letztgenannte Form der Kommunikation und Information, das „bilaterale Gespräch“ also, zeitigte (bereits vor dem offiziellen Beginn der Tagung) relevante Erkenntnisse: So wurde von einem bayerischen Landesarbeitsgericht[1] berichtet, dass in dessen Zentrale das Vorgangsbearbeitungssystem (VBS) in das E-Akten-System (EAS) integriert sei, während kleinere Standorte der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit das EAS lediglich als Ablagesystem nutzten. Nach dem Scannen analoger Posteingänge würden diese aus Gründen der Qualitätssicherung noch sechs Monate (!) lang aufbewahrt. Für das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) – eine bayerische Landesmittelbehörde für die sieben bayerischen Regierungsbezirke – sei die Anbindung von Fachverfahren an das EAS zurzeit ein großes Thema. Nach derzeitigem Stand der Dinge – eine abschließende Regelung steht wohl noch aus – würden „kleinere Fachverfahren“ voraussichtlich nicht mittels einer Schnittstelle an das EAS angebunden. Ein gravierendes Problem sei das Ersetzende Scannen gemäß BSI Richtlinie TR-RESISCAN (TR 03138). Prinzipiell sei die E-Akte bereits eingeführt, werde jedoch noch nicht von allen genutzt.
Christine Schade von der Magistrat-Stabsstelle Digitalisierung der Stadt Frankfurt am Main legte dar, dass das Institut für Stadtgeschichte sich mehr und mehr in Richtung Kultur entwickele, weniger in Richtung (Betreuung der städtischen) Schriftgutverwaltung. Pro Amt sein ein Schriftgutbeauftragter ernannt worden, diese seien jedoch noch nicht geschult. Die Stabsstelle umfasse etwa 25 bis 30 Personen, sei aber auch für das OZG, das Thema „Smart City“ sowie das Zentrale Scannen zuständig. Fünf Personen seien mit der Aufgabe der Schriftgutverwaltung betraut, wozu auch die Aspekte der sicheren Kommunikationswege und des Signierens zählten. Genutzt werde die eGov-Suite von Fabasoft. Auf der Jahrestagung in Berlin sei die Stadtverwaltung mit zwei Personen von der Stabsstelle, drei für die E-Akte zuständigen Personen sowie einer Person vom Frankfurter Jobcenter vertreten. Die Handreichung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen zum Thema „Aktenrelevanz“ sei positiv aufgenommen worden.
Ralph Dembeck (Infora GmbH) legte dar, dass im Falle der nordrhein-westfälischen Landesverwaltung die Etablierung der mobilen nscale-App schwieriger sei als in Berlin, da NRW über ein separates, durch den Landesbetrieb IT.NRW entwickeltes VBS verfüge, nämlich die E-Laufmappe. In Berlin hingegen werde nscale „komplett“, quasi „aus einer einzigen Box“, genutzt, doch auch dort befinde sich die mobile nscale-App noch nicht in der Nutzung. In Berlin, so Dembeck weiter, könne man künftig – anders als etwa in NRW – Vorgänge und Akten aussondern. Zudem gebe es dort „Dokumenten-Ordner“, die gleichsam als reine „Hülle“ fungierten, in der Schriftgut-Objekthierarchie angesiedelt zwischen Vorgang und Dokument. Diese Dokumenten-Ordner enthielten keine Metadaten und würden bei der Aussonderung aufgelöst. Doch auch in NRW kenne er, Dembeck, eine Behörde, die sich eine vierstufige Objekthierarchie habe einrichten lassen. In Berlin gebe es eine Behörde mit 7.400 Ablageorten im Aktenplan, eine andere Behörde habe 60.000 (Fall-)Akten unter einem Ablageort im Aktenplan abgelegt. Bei einer weiteren Behörde seien auch 14 Jahre nach Einführung des EAS nur 8 % der Vorgänge abgeschlossen bzw. z.d.A. verfügt. Diese und ähnliche Probleme kommen einem leider nur allzu bekannt vor.
Thomas Diefenbach (Infora GmbH) beschäftigte sich in seinem Vortrag „Digitale Sachbearbeitung“ des Forums „Perspektiven der zukünftigen E-Verwaltungsarbeit“ mit den „Herausforderungen und Lösungswege[n] zwischen E-Akte, OZG und Fachanwendungen“. Neben der Möglichkeit von Online-Antragstellungen und der Einrichtung eines digitalen Rückkanals (Bürgerkonten) thematisierte er die behördenübergreifende Zusammenarbeit und den hiermit in Zusammenhang stehenden Datenaustausch. Das Stichwort in diesem Kontext sei das „One-Stop-Government“. Als Herausforderungen identifizierte er den zunehmenden Zeitdruck im digitalen Zeitalter, hohe Fallzahlen sowie die Service-Erwartungen von Bevölkerung und Unternehmen. Anhand des Beispiels eines Antragsverfahrens erläuterte Diefenbach den sich anbietenden Ansatz: Mit Hilfe einer Prozessmodellierung des fachlichen Ablaufs gelange man zu einem digitalen Soll-Ablauf. Bei der Bausteinbildung (= Prozess-Schritte) sei danach zu fragen, was generalisierbar sei und was nicht. Die Aufgaben- und Rollenzuweisung für ein Antragsverfahren trenne dann die Zuständigkeiten der Anwendungen in fachlicher und technischer Hinsicht. Bei dieser Gelegenheit wies der Referent darauf hin, dass viele Organisationen respektive Behörden die Zahl der Fachanwendungen im eigenen Hause nicht kennten. In einem weiteren Schritt stellte er ein Vorgehensmodell zur Bildung eines Programms „Digitale Sachbearbeitung“ vor. Generell müsse ein Einführungsprojekt durch die Hausleitung unterstützt werden. Führungskräfte hätten Vorreiter zu sein, nicht Skeptiker.
Robert Wander (Ceyoniq Technology GmbH) veranschaulichte in seinem Vortrag „Der Schnittstellen-Baukasten – nscale als Lowcode-Lösung“ anhand des Beispiels der Aufgabe der Bearbeitung von „Anwohnerparkausweisen“ seine Forderung, Einstiegsprozesse möglichst einfach zu gestalten und auf „Exotenprozesse“ zu verzichten. Beispielsweise könnten die Dokumente direkt im EAS nscale erstellt werden. Als die vier Bausteine moderner Schnittstellenstrategien bezeichnete er Import, Veraktung, Darstellung und Recherche.
Im Forum „Vorgangsbearbeitung und Zeichnungsverfahren“ leuchtete Agata Drabik (Information und Technik Nordrhein-Westfalen – IT.NRW) das Thema „E-Laufmappe – Ein großer Sprung nach vorn – Blick in die wesentlichen Neuerungen“ aus. Sie stellte die E-Laufmappe, Postmappe, Posteingang sowie das kopierende (= ergänzende) Scannen vor und verwies auf die neu entwickelte Blätter-Funktion. Das Arbeiten auf mobilen Geräten wurde mit Hilfe eines im Februar 2022 fertiggestellten Erklärvideos demonstriert, abschließend der Admin-Client vorgestellt. „Der mobile Zeichnungsclient der E-Akte Bund“ war der Gegenstand der Ausführungen von Manuel Galadi Enriquez (ITZ Bund). Er skizzierte die Rahmenbedingungen der Nutzung des Clients. Bislang nutzten mehr als 35 Behörden die E-Akte Bund (EAB) im zentralen Betrieb des ITZ Bund. Im Jun i 2022 sei die Bereitstellung der EAB in der Bundescloud erfolgt. Für die Nutzung des mobilen Zeichnungsclients werde keine gesonderte App benötigt. Ferner sei eine revisionssichere Zeichnung gewährleistet. In Kürze wurden die Voraussetzungen für die Nutzung des Clients vorgestellt: Verfügbarkeit (HTML 5-fähiger Browser), sowohl für iOS als auch für Android nutzbar, Zugang zur EAB. Anpassungen und Weiterentwicklung können, so Enriquez abschließend, über den EAB-Anforderungsprozess lanciert werden.
15 Geh-Minuten vom dbb forum berlin entfernt, im historischen „Meistersaal“ am Potsdamer Platz, klang der erste Veranstaltungstag bei anregenden Gesprächen aus. Ausgesprochen informativ waren Gespräche mit Bruno Höller sowie mit Rainer Ullrich, der mehr als 15 Jahre als Geschäftsführender Gesellschafter der Infora GmbH fungierte. Hier konnte man Inspirationen für die eines Tages zu schreibende Geschichte der Softwareanbieter und deren Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung im institutionellen, „manifestierten“ Sinne, aber auch zur Schriftgutverwaltung als abstraktem Betrachtungsgegenstand gewinnen.[2]
Bruno Höller beklagte im Gespräch das behördliche Silo-Denken bis in die obersten Etagen hinein. Doch wer „Archiv“ denkt, solle auch „E-Akte“ und „OZG“ denken et vice versa. Er vermisse die Frage, welche der in Fachverfahren anfallenden Informationen eigentlich in die E-Akte gehörten. Von besonderem Interesse waren Höllers Ausführungen zur Entstehung verschiedener E-Akten-Systeme und entsprechender Vorläufer, etwa des Elektronischen Leitz-Ordners (ELO) oder des Produkts DOMEA. Hier habe die Firma Leitz letztlich einen ganzen Entwicklungsstrang aus der Hand gegeben. Während das Softwareprodukt- und Cloud-Dienstleistungsunternehmen Fabasoft in Österreich seinen Schwerpunkt gesetzt habe, sei DOMEA in Deutschland stark vertreten gewesen. Mit dem Einstieg von Open Text bei DOMEA habe sich die Entwicklung spürbar gewandelt. Auch die Begriffe respektive Produkte und Firmen CSE Workflow[3], SER (Software Enterprise Research, deutsches Softwareunternehmen im Bereich Enterprise Content Management), Leitz – Esselte[4] gehören in diesen Kontext. Zuletzt hob Höller die Potenziale einer Workflow-Engine[5] hervor. Der gesamte Themenkomplex ist in technologie-, wirtschafts- und verwaltungshistorischer Hinsicht – für Deutschland wie für Österreich – ebenso relevant wie vor dem Hintergrund der vermuteten Einflüsse von Hard- und Software, von technologischen Rahmenbedingungen auf menschliches Denken und Handeln.
Ein elektronischer Schriftverkehr im Nachgang der Tagung hatte die beiden Texte von Bruno Höller (H²-Solutions. consulting and products, Mainburg) und Rainer Ullrich (Geschäftsführer Public Consulting Rainer Ullrich GmbH, Köln; zuvor langjähriger Geschäftsführer der Infora GmbH) zum Resultat.
Beide Beiträge werden hier nachstehend unverändert bzw. geringfügig angepasst dokumentiert:
Bruno Höller
Ein nicht ganz streng gemeinter persönlicher Blick zurück kann die Sicht auf die Zukunft erhellen Man stelle sich vor, es habe nicht die Erfindung eines Aktenordners gegeben. Wie hätte es in unseren Büros nur ausgesehen! Genauso chaotisch wie es oft auf Festplatten aussah (oder noch aussieht), als man begann, Texte anstatt auf Papier mit Softwareprogrammen (neudeutsch: Office Produkte) zu schreiben und anstatt einen Brief per Post zu versenden, die Nachricht per E-Mail zu verschicken. War mit der Erfindung des Aktenordners damals schon alles erledigt? Bei weitem nicht. Erst die Vereinbarung des Umgangs damit im Rahmen der Schriftgutverwaltung ließen Nachvollziehbarkeit, Vollständigkeit und schließlich auch geordnete Archivierung zu. Und so war mit der Erfindung des Dokumenten Managements (DMS) noch lange nicht alles getan – aber sozusagen das Mittel zur Ordnung in Softwareform war inklusive Metadaten geboren und so wie man mit einem Ordner viel Unsinn anstellen kann, so konnte man das natürlich auch mit einem DMS. Gut also, dass es Regelwerke gab, die nun in die Welt der Rechnerunterstützung – die Begrifflichkeit der digitalen Transformation war noch nicht erfunden – zu transferieren waren. Hing schon im analogen Leben keine Beschreibung am Ordner, welchen Weg er durch die Büros nehmen sollte (wie toll wäre eine Langzeitkameraaufnahme über die verschlungenen Wege), so war das im Digitalen erst recht nicht so.
Immerhin konnte man nun schon von einem anderen Arbeitsplatz auf die Inhalte zugreifen, ohne dass erst die Hauspost bemüht werden musste. Welcher Fortschritt: Nicht suchen sondern vielleicht schon finden! Alle Regeln von Ordnung, Abläufen etc. steckten ansonsten ja in der analogen SGV, Geschäftsordnung und den Organisationsanweisungen, wenn sie denn befolgt wurden. Herkömmliche Regeln (oder gar Gesetze) aus der analogen Welt bei Einführung der Rechnerunterstützung zu hinterfragen, war indes nicht so recht en vogue.
Da wird es ja wohl Hersteller geben, die das alles mal eben in Software übersetzen. Und zwar genau so! Man kennt die Stichworte: Vorgangsbearbeitung, automatische Aktenzeichengenerierung, Akte-Vorgang-Dokument, Umprotokollierung, fälschungssichere Signatur in Anlehnung an die Unterschrift, Zugriffsrechte, Integration von allem, was rechts und links noch liegt – E-Mail, Fachverfahren, mobiles Gerät, irgendwie auch die Prozesse, Sicherheit usw. usw. – ach ja und Aussonderung, aber das kommt ja erst später. Was interessiert die Leitung des Projektes, wie in mindestens zehn Jahren die E-Akten ausgesondert werden sollen. Überraschend, nach 10 Jahren festzustellen, dass kaum ausgesondert werden soll, da so viele Vorgänge im System als nicht abgeschlossen vorgehalten wurden und somit die Fristen nicht ablaufen konnten – Speicherplatz kostet ja angeblich kaum etwas!
Doch nicht so schnell. Erst war die Registratur damit beschäftigt, sich selber auf ihrem PC eine Arbeitserleichterung zu schaffen. Und so entstand 1987/88 das erste Schriftgutverwaltungssystem. Von E-Akte war da noch keine Rede aber die erste Textverarbeitung war bereits unterwegs.
16 Jahre DOMEA® Organisationskonzept – Dokumenten Management und elektronische Archivierung (im IT-gestützten Geschäftsgang) – eine lange Zeit
Was 1996 als erstmaliges Konzept der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBSt) mit auf den ersten Blick verständlichen Begriffen wie Dokumenten Management und Archivierung überschrieben war, entpuppte sich für Softwerker, die mit Banken, Versicherungen, Telekomunternehmen zu tun hatten, erst mal als Buch mit sieben Siegeln. Elektronische Archivierung – da dachte man an viele Technologiethemen aber nicht an Begriffe wie Aussonderung, Gedächtnisorganisation, Kulturgut, Archivgesetz etc. Oder Geschäftsgang: Wer konnte sich außerhalb einer Behörde als Softwerker etwas darunter vorstellen? Schließlich fand sich eine überschaubare Zahl an Softwareanbietern, die Lösungen auf Basis des DOMEA® Konzeptes entwickelten.
Der geneigte Beobachter stellte sich damals die Frage, wie es denn dazu kam, dass es ein VBS Produkt namens DOMEA und ein Konzept namens DOMEA gibt. Die Lösung liegt darin, dass beide Namen als Marke eingetragen wurden und durch das hochstehende ® gekennzeichnet sind. Eine geschickte Marketing-Lösung.
Damals war es der Start auf eine lange Reise über eine Straße, deren Name Vorgangsbearbeitungssystem hieß und die den Begriff der E-Akte erst unterwegs so richtig aufnehmen sollte. Diese Straße war gesäumt von sehr vielen individuellen Tests, Pilotprojekten, Zwischenstopps, Richtungsänderungen und vielen Diskussionen, warum es nur mühsam weiter gehe – eine auch für die Hersteller sehr mühsame Zeit, da ein einträglicher Rollout immer wieder in weite Ferne rückte, von der technischen und wirtschaftlichen Herausforderung abgesehen. Schließlich entstand DOMEA® 2.0 als letzte (Zertifizierungs-)Version für Produktlösungen. Dieser aufwändigen Zertifizierung eines 84 Seiten langen Katalogs verweigerten sich schließlich einige Anbieter. Sie sprachen stattdessen nicht von „zertifiziert“ sondern von „konzeptkonform“.
Schließlich löste im Jahr 2012 das Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit (OkeVa) das DOMEA® Organisationskonzept 2.1 von 2005 ab und verabschiedete sich damit von der Idee, mit einem zu engen funktionalen Blick auf eine für alles und alle gültige Softwarelösung ans Ziel zu kommen. Und schon ging die nächste Diskussion los: Müssen jetzt die Produktlösungen auseinander gebaut und in einzelne Module umgebaut werden? Steht die E-Akte oder bewegt sie sich? Hatten doch in der Zwischenzeit die einen Anwender bereits ihr DOMEA basiertes Produkt „amputiert“ und nutzten es nur als Akten Repository und die anderen nutzten alle Funktionalitäten, die ihre Produktlösung hergab. Die einen nutzten die Funktion der Umlaufmappe ihrer DOMEA Produktlösung, die anderen realisierten sie im Bereich der Kollaboration. Mit OkeVa war die Grundlage für eine modulare organisatorische Denkweise gelegt. Inwieweit dies seine Entsprechung in der zunehmend Service-orientierten Programmiertechnik fand und zu wirklich unterschiedlichen Modulen führte, ist den jeweilige Produktlösungen zu entnehmen. Man darf durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Der Anschub weg von „ich kaufe mir ein Produkt und dann wird das schon laufen“ hin zu “die Einführung ist mehr ein organisatorisches als ein Softwareprojekt“ gewann an Fahrt, wenn auch gemächlich.
Wann fing das eigentlich an mit der E-Akte?
Der Begriff der elektronischen Akte stand schon im DOMEA® Organisationskonzept. Doch eher als funktionaler Stellvertreter für die Akte und als Kürzel für das Ordnungsschema, was man unter Akte, Vorgang, Dokument so alles versteht. So bleibt es das Verdienst der Veranstaltungsreihe „Jahrestagung E-Akte“, den Begriff aus seiner „Ecke“ herauszuholen und ihm einen prominenteren Platz bei den späteren Bemühungen um die Transformation zur digitalen Verwaltung zu schaffen. Wer auch in anderen Branchen unterwegs ist, weiß um das damalige Image der „verstaubten Behördenakte“ gerade so als ob es in der Wirtschaft nicht Kunden-, Personal-, Kredit-, Auftragsakten etc. gäbe. Aber auch innerhalb der Community war es nicht einfach, eine Gesamtschau mit einem zentralen Stellenwert der E-Akte für alles, was in der Dienstleistung der Verwaltung irgendwann elektronisch sein wird, in die Köpfe zu bringen. Von der Bund online Initiative 2005 über DOMEA, OkeVa, eGovernment Gesetze und europäische Vorgaben bis zum Online Zugangsgesetz (OZG) von den Beispielen unserer Nachbarländer mal ganz abgesehen. Der Mathematiker würde sagen: Die E-Akte ist eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für die gesamte Digitalisierung der Verwaltung.
Wandel der Begriffe
Wer über die Jahre die Szene beobachtet, wundert sich nicht schlecht, wann Themen und Schlagwörter, die heute hochaktuell erscheinen, bereits zum ersten Mal auftauchten und wie lange das schon her ist. Ebenso wie sich neue Begriffe etablieren, wo Zweifel erlaubt sind, ob sich überhaupt neue Inhalte damit verbinden oder doch? Und andere Stichworte tauchen über der Zeit nicht mehr auf – weil sie obsolet wurden oder als Selbstverständlichkeit gelten und nicht mehr erwähnenswert sind, da Problem gelöst? Oder repräsentieren sie einfach nur eine Fehlentwicklung? Da lohnt es sich doch, die Reihe der Jahrestagungen E-Akte mal auf ihre Stichwörter hin anzuschauen. Die Häufigkeit ihrer Verwendung mag ja ein Indiz für ihren Stellenwert oder Hype sein? Auf dem Weg der Erkenntnis – oder sollte man besser sagen auf dem Weg zum vollständigen Rollout der E-Akte bis zur Selbstverständlichkeit – ist so mancher Wandel zu erkennen. Und der ist noch nicht abgeschlossen. Die Grafik gibt einen groben Überblick über Erwähnungen in den Tagesordnungen und Vorträgen auf der Jahrestagung E-Akte, die von 2009 bis heute traditionell in Berlin stattfand und 2009 von dem damaligen Geschäftsführer der Infora, Rainer Ullrich, initiiert wurde.
Gibt uns das Bild die Möglichkeit einer Einordnung?
Agilität / Personalkapazität: Eine der gedachten Ziele der Veranstaltung gilt dem Austausch der Erfahrungen generell aber im Speziellen auch dem Erfahrungsaustausch bei Einführungs- und Rollout-Projekten. Da erscheint es schon interessant, das Stichwort „agil“ nur sehr vereinzelt vorzufinden aber auch kein methodisches Gegenszenario als Erfolgsfaktor. In engem Zusammenhang mit der Ausstattung von Projekten steht die Kapazitätsplanung. Hat es wirklich so lange gedauert, bis man sich ehrlich machte über den realistischen Bedarf an Personalressourcen und das nicht nur auf dem Papier sondern in echt. Scheibchenweise einsetzbare Teilkapazitäten sind ein Totengräber von Projekten.
Akzeptanz: Welches Wort gibt es, welches häufiger als Worthülse gebraucht wurde, als die Akzeptanz? Auffällig ist, wie sich der Begriff durchaus über Jahre immer wieder in den Agenden und Vorträgen findet. Aber der Weg von dem Geständnis, das Teilprojekt Akzeptanzmanagement eigentlich als Reserveposten in das Budget eingebaut zu haben, um ihn für andere Teilprojekte im Bedarfsfall hernehmen zu können, bis zum Einsatz professioneller Pädagogen für die methodische Begleitung von Schulung und Einübung war ein langer Weg. Gut, dort angekommen zu sein.
Langzeitspeicherung/Langzeitarchivierung/Scannen/Beweiswerterhalt/Aussonderung: Ist es nicht überzeugend, wie nachhaltig diese Themen die Entwicklung der E-Akte begleitet haben? Von dem Dauerbedarf, die Begrifflichkeiten von Archivierung, Langzeitarchivierung, Langzeitaufbewahrung etc. zu klären, ganz abgesehen. Respekt vor den „dicken Brettern“, die es zu bohren galt und gilt:
im technischen Bereich – wer will sich schon in der Verantwortung um die Einführung der E-Akte darum kümmern, wie man Dokumente technisch einwandfrei und beweiswerterhaltend in einem Storage unterbringt? Oder sich mit OAIS, AIP, Langzeitformat auseinandersetzen, wenn es darum geht, die E-Akte an den Mann und die Frau zu bringen?
Im Bereich von Standards und Normen – das Kümmern darum mit ihren technischen Richtlinien ist kein einfaches Geschäft
Im organisatorischen Bereich – was hilft die ganze Mühe, wenn einfach nicht ad acta gelegt wird und keine Fristen eingetragen sind. Müssen da erst die Server überlaufen? Wie will man da massenhafte Aussonderung üben? Das braucht Zeit.
2017: Das Jahr 2017 unterscheidet sich in den Themen von den anderen Jahren. Das ist nicht überraschend, befand sich doch Deutschland im Ausschreibungsstress, da über viele Länder hinweg Nachfolge- bzw. Ablöseausschreibungen anstanden.
OZG: Zeigt der Blick auf die Grafik ein interessantes Phänomen? Die meisten Themen zeigen ab 2018 eine markant kontinuierliche Relevanz über die Folgejahre. War es die Neuauflage der E-Akte durch die Ausschreibungen? Oder war es die Tatsache, dass 2018 mit dem Online Zugangsgesetz erstmalig der Online Zugang für Verwaltungsdienstleistungen über Bund, Land und Kommune zur gesetzlichen Vorschrift wurde (nur vereinzelte eGovernment Gesetze der Länder schrieben die Einführung der E-Akte vor). Aus dem Stand entstand die Diskussion, ob mit dem OZG nun auch die E-Akte gemeint sei und wer das finanziere. Die Diskussion erübrigte sich, da sich von alleine ergeben müsste, dass ernstgemeinte Vermeidung von Medienbrüchen bei online Anträgen zwingend die E-Akte früher oder später mit sich bringen muss.
Fachverfahren/Fachanwendungen: Wen überrascht es, dass die Fachverfahren mit einer der höchsten Trefferzahlen Kontinuität und hohe Relevanz zeigen? Auch wenn sich über die Jahre das Verständnis über den Begriff immer wieder etwas geändert hat. waren schon viele Fachverfahrensintegrationen mit der E-Akte unterwegs, so hat das Thema mit dem OZG vollends Schwung aufgenommen. Der online Antrag zwingt dazu, dass sich Fachverfahren und E-Akte vertragen. Ist am Ende die Effizienz der digitalen Geschäftsprozesse der Schiedsrichter über den Erfolg der digitalen Transformation?
Der Zeitstrahl: Es sei am Ende ein wenig Raum zum Spekulieren erlaubt. Kann es sein, dass der Zeitstrahl ein wenig deutsche Mentalität widerspiegelt? Waren es am Anfang fast die gleichen Ideen wie heute, so begann alles irgendwie mit einer gewissen Mentalität von Freiwilligkeit? Könnte man sich fragen, ob am Anfang der Straße mehr Problemorientierung als Zielorientierung angesagt war? Und ist nicht so richtig Fahrt erst mit der gesetzlichen Vorgabe des OZG in die Dinge gekommen? Ok. das OZG hat die Online Stellung im Fokus. Aber die gute alte Gesetzestreue scheint Wirkung erzielt zu haben – ist es erst mal Gesetz, muss gehandelt werden. Register werden modernisiert, XöV Standards werden vorangetrieben, weitere Standards werden von der FITKO entwickelt, Schriftformerfordernisse werden hinterfragt, Gesetzliche Hürden werden aus dem Weg geräumt und schließlich scheinen Projekte kapazitiv und finanziell adäquat ausgestattet zu werden? Spricht man heute davon, dass das Gesetzgebungsverfahren bereits auf Digitaltauglichkeit prüfen soll, so stand bereits vor 2009 im Gesetz für den Emissionshandel, dass es elektronisch umzusetzen sei, was dann auch mit einem Vorgangsbearbeitungssystem geschah.
Die Zielgruppe: Die Jahrestagung war von Anfang an ein Treffen mit Vorträgen aber auch vielen intensiven Gesprächen. Diese fanden weniger auf der Bühne statt, sondern mehr in den Pausen und in angenehmen Kommunikationsräumen. Kein Wunder, dass zu Anfang des Themas Entscheidende, Strategen, manchmal auch Visionäre unterwegs waren. Wie bei jeder andauernden Serie ist es nicht zu vermeiden, dass es Wiederholungseffekte gab. Wartet man nicht immer auf die große neue Nachricht? War es da verwunderlich, dass ein gewisser „Müdigkeitseffekt“ entstand? Themen wiederholten sich, ohne dass man markanten Fortschritt oder große neue Erkenntnisse erwartete. War das Thema E-Akte in das Tagesgeschäft gerutscht und ließ keine innovativen Themen mehr zu? Dabei befeuerte die „Allzweckwaffe“ der Digitalisierung der Verwaltung alle public Veranstaltungen gleichermaßen. War es da verwunderlich, dass KI, Cloud, EU etc. nicht so richtig in der Jahrestagung Eingang fanden. Und dann? Gegen Ende der 2010er Jahre veränderte sich etwas. Die „alten Netzwerker“ überließen das Feld der nachrückenden Generation. „Was ist die richtige (Produkt-)Lösung?“ waren nicht mehr die Treiber der Besuchenden. Es waren die oft jungen Leute, die nach der Welle der Ausschreibungen in Deutschland, die aus anderer Motivation kamen: „Dass wir die E-Akte bekommen ist klar, die Produktlösung ist auch klar, aber worauf muss ich mich einstellen? Was erwartet mich?“ Das wurde zur aktuellen Fragestellung der Veranstaltung. Also: viele neue Gesichter. Viele Fragen, die als beantwortet gelten konnten und nun deren Antworten nicht unbedingt neu aber erneut als Wissen geteilt wurden.
Die E-Akte hat also Zukunft und irgendwann ist sie überall selbstverständlich in einer transformierten digitalen Verwaltung.
Rainer Ullrich
Die erste Veranstaltung, aus der die heutige Jahrestagung E-Akte hervorgegangen ist, fand 1993 unter dem Titel „Anwenderforum IT-gestützte Vorgangsbearbeitung“ statt. Das Konzept der Veranstaltung ist hat sich über den Zeitraum von nun beinahe 30 Jahren nicht verändert:
Projekte zur IT-Unterstützung der Verwaltungsarbeit sollten von Mitarbeitenden aus der Verwaltung Kolleginnen und Kollegen aus der öffentlichen Verwaltung vorgestellt werden. Interessierten Firmen wurde auf einer begleitenden Ausstellung die Möglichkeit gegeben, ihre Konzepte und Produkte zu präsentieren. Damit wollte sich die Veranstaltung bewusst von Messen und Kongressen absetzen, die eine vertriebliche Plattform für Unternehmen darstellten und der Werbung für Vorgangsbarbeitungs- und Workflow-Systeme dienten. Projekterfahrungen aus Verwaltungsprojekten zu teilen und sowohl Erfolge als auch Misserfolge mit anderen Behördenvertretern zu diskutieren, das sollte das Anwenderforum IT-gestützte Vorgangsbearbeitung von anderen Veranstaltungen unterscheiden. Die erste Veranstaltung, die von der Senatsverwaltung für Inneres Berlin und der INFORA GmbH organisiert wurde, fand im Schöneberger Rathaus statt und hatte eine überwältigende Resonanz. Behördenvertreter aus der gesamten Bundesrepublik nahmen an der Veranstaltung teil. Ermutigt durch den Erfolg entschlossen sich die Senatsverwaltung für Inneres und die INFORA GmbH diese Veranstaltung jährlich fortzuführen.
Die Unterstützung behördlicher Vorgangsbearbeitung war bereits in einzelnen Bundesländern, zum Beispiel in Niedersachsen und Brandenburg, Gegenstand landesweiter Pilotprojekte gewesen. Vertreter aus diesen Bundesländern berichteten in den ersten Jahren von ihren Erfahrungen mit der Umsetzung ihrer Konzepte. In diesen Projekten standen Funktionen der Schriftgutverwaltung und die Nachvollziehbarkeit der Bearbeitungshistorie von Dokumenten im Mittelpunkt. Da die papiergebundene Arbeit noch viele Jahre der Regelfall sein sollte, war die Verwaltung von Metadaten zu Papierdokumenten der gängige Lösungsansatz.
Ein entscheidender Fortschritt bei der IT-Unterstützung der Vorgangsbearbeitung war das Jahr 1996. Die „Koordinierungs -und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBST)“ im Bundesministerium des Innern veröffentlichte dass DOMEA-Konzept, das erstmalig systematisch die behördlichen Anforderungen an eine IT-Unterstützung von Geschäftsgängen formulierte. Außerdem enthielt das DOMEA-Konzept einen Anforderungskatalog, der die organisatorischen Anforderungen in funktionale Anforderungen umsetzte. Damit sollte die IT-Wirtschaft angeregt werden, Lösungen für die öffentliche Verwaltung zu entwickeln und dem Markt zur Verfügung zu stellen. Das DOMEA-Konzept und seine Fortschreibungen bis zum Konzept E-Verwaltungsarbeit waren über viele Jahre Schwerpunkt des Anwenderforums.
Die Bemühungen des Bundesministeriums des Innern, eine einheitliche Software-Lösung für die gesamte Bundesverwaltung zu beschaffen, war nicht durchsetzbar. Zum einen beriefen sich die Bundesministerien auf ihre grundgesetzlich verbürgte Organisationshoheit nach Artikel 65 GG, zum anderen wurde die Befürchtung geäußert, dass eine einheitliche Lösung für die Bundesverwaltung den Wettbewerb einschränke und daher letztlich nachteilig für die öffentliche Verwaltung sei. Die KBST reagierte darauf mit einem Zertifizierungsverfahren für Vorgangsbearbeitungssysteme. Die Zertifizierung erfolgte auf Antrag der Unternehmen, die Ergebnisse des Zertifizierungsverfahrens wurden in einem Prüfbericht veröffentlicht. Diese Zertifizierung führte zu einem Wettbewerb der verschiedenen Software-Produkte. In den Anwenderberichten spiegelten sich über viele Jahre die Erfahrungen mit dem Einsatz dieser unterschiedlichen Lösungen wider. Auch die Begleitausstellung zur Veranstaltung gewann an Bedeutung, da nahezu alle zertifizierten Unternehmen ihre Produkte auf der Veranstaltung ausstellten, um mit potenziellen Kunden ins Gespräch zu kommen.
Parallel dazu veränderte sich die Sicht auf die IT-Unterstützung der behördlichen Prozesse. Durch das Konzept „Bund online 2005“ sollten online -fähige Dienstleistungen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Der von Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals auf der Eröffnung der Expo 2000 verwendete Begriff „E -Government“ etablierte sich.
Diese neue Sicht lässt sich auch bei den Vorträgen des Anwenderforums nachvollziehen. Viele Referate beschäftigten sich intensiv damit, wie online -fähige Dienstleistungen identifiziert und zur Verfügung gestellt werden konnten. Dass behördliche Prozesse online von Bürgerinnen und Bürgern angestoßen werden sollten und diese Prozesse behördenintern medienbruchfrei elektronisch bearbeitet werden sollten, war eine große Herausforderung. Dabei kam der elektronischen Akte eine Schlüsselrolle zu, denn die elektronische Akte bildete die Basis für die sinnvolle und wirtschaftliche Umsetzung von solchen transaktionsorientierten Online-Prozessen. 2008 wurde die Veranstaltung dann in „Jahrestagung E-Akte“ umbenannt. Der etwas sperrige Begriff IT-gestützte Vorgangsbearbeitung hatte sich überholt.
Die 2010 er Jahre waren geprägt von den IT-Konsolidierungsbestrebungen, die auch das Thema E- Akte erfassten. Unter dem Schlagwort „Dienstekonsolidierung“ wurden im Bund und den Landesverwaltungen Standardprodukte ausgeschrieben und dann Landes- beziehungsweise bundesweit eingeführt. Die Jahrestagung E-Akte griff diese Entwicklung auf. Viele Referentinnen und Referenten beschäftigten sich mit landesweiten Einführungsstrategien, Schulungskonzepten, der Entwicklung von landeseinheitlichen Aktenplänen und vermehrt auch mit dem Thema Change-Management im Zusammenhang mit der Einführung der E-Akte.
Das Onlinezugangsgesetz und die Veränderung der Arbeitswelt, die durch die Corona-Pandemie wesentlich beschleunigt wurde, bestimmen die gegenwärtige Diskussion auf der Jahrestagung. Die E- Akte wird als Basis für New-Work-Konzepte und als Voraussetzung für eine effiziente Umsetzung des OZG an Bedeutung gewinnen.
Hat die Jahrestagung E-Akte Ihre Aufgabe erfüllt, wenn die E -Akte flächendeckend eingeführt ist? Davon ist nicht auszugehen. Schon jetzt deuten sich weitere Themenschwerpunkte an: der Einsatz von KI, die Veränderung behördlicher Prozesse durch das OZG, der Betrieb der E Akte in der Cloud und nicht zuletzt E Akte und Cyber-Sicherheit bieten viel Diskussionsstoff für die nächsten Jahre.
Auch der zweite Veranstaltungstag war geprägt von spannenden Gesprächen und anregenden Vorträgen. Ein Vertreter des BVA führte aus, dass sein Haus sowohl der Bundeswehr als auch dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) die Personalakte erstelle, daneben auch für Signaturen und Stempel zuständig sei. Unidirektional sei die Schnittstelle 2.0 des Bundes deswegen, weil das BSI davon ausgehe, dass in der EAB auch VS-NfD-Unterlagen (Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch) anfielen. Bei einer bidirektionalen Schnittstelle müsste jedoch das System, in welches dann Dokumente aus der EAB exportiert werden sollten, ebenfalls VS-NfD-tauglich sein.
Stefanie Busch stellte im Forum „Aspekte des Lebenszyklus von E-Akten“ für das Bundesarchiv die Schritte zur Aussonderung am Beispiel des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) vor. Es gebe derzeit eine Anbindung von OpentText DOMEA an das Digitale Zwischenarchiv des Bundes (DZAB). Ab 2024 sei die Ablösung von DOMEA durch die EAB vorgesehen. Bezüglich der Aussonderung zeichnete die Referentin folgendes Vorgehen nach:
Abstecken Organisatorischer Rahmen durch BArch und BMFSFJ
Der Projektabschluss sei am 1. Juli 2022 mit der Produktivsetzung der Schnittstelle DOMEA/DZAB erfolgt.
Katharina Tluk von Toschanowitz (IT.NRW) und Danila Lompa (Materna Information & Communications SE) widmeten sich dem Thema „Digitale Barrierefreiheit im Kontext der E-Akte in NRW“. In diesem Zusammenhang seien sowohl die EU-Richtlinie 2016/2102 als auch die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0)“[1] einschlägig. Der anzuwendende Standard sei die Europäische Norm (EN) 301 549 „Accessibility requirements suitable for public procurement of ICT products and services in Europe“ in ihrer aktualisierten Version 3.2.1[2] mit ihren insgesamt 104 Anforderungen. Die vier Hauptprinzipien seien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit, konkret zum Beispiel Fragen der Tastatursteuerung, der Kontraste der Fokushervorhebung. Bei jedem Versionswechsel von E-Akte und E-Laufmappe habe künftig ein zweistufiger (KBIT und TBIT)[3] Barrierefreiheitstest zu erfolgen.
„Digitale Twins in der Verwaltung sind kein Hexenwerk“ lautete das Thema des Beitrags von Stephan Kizina (Open Text Document Technologies GmbH). Der Referent erläuterte das Konzept der Business Workspaces für Digitale Zwillinge[4]. Hierbei stehe das Informationsmanagement im Zentrum einer nahtlosen Einbettung in führende Anwendungen (SAP, salesforce, Microsoft Teams etc.). Digitale Zwillinge ermöglichten die gewinnbringende Verknüpfung von Informationen, Inhalten und Aufgaben.
Robert Bloy (Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport, Berlin) und Nina Moeller (Materna TMT GmbH) eröffneten das Forum „Qualifizierung und Change Management – Erfahrungen aus der Praxis“ mit ihren Gedanken zum Thema „Die Digitale Akte Berlin: Auf Erfolgskurs durch E-Learning und Change-Management“. Sie betonten die Bedeutung des Akzeptanzmanagements. Besonders geeignet sei hinsichtlich der Konzeption von Schulungen das Vorgehen in Form eines „Blended Learnings“, also einem alternierenden Schulungszyklus von E-Learning- und Präsenzelementen, und zwar in der Reihenfolge: E-Learning – Präsenz-Element – E-Learning. Das Angebot in Berlin habe man zu 100 Prozent barrierefrei gestaltet. Schulungsgegenstand sei die Digitale Akte Berlin gewesen. Während die „reinen“ Anwender mit zweimal acht Stunden beschult worden seien, habe man das Pensum bei den Multiplikatorinnen dann noch einmal deutlich erhöht.
Thomas Jähnig (tts GmbH) wandte sich der Motivation der Beschäftigten zu: „Begeistern Sie Ihre Miterbeiter:innen: User Adoption für die E-Akte!“. Seine Ausführungen hatten User Adoption-Module für die E-Akte zum Gegenstand und kreisten im Wesentlichen um die Aspekte von „Change“, IT-Applikation, Strategie/Geschäftsprozesse und „Kultur“. Er plädierte für eine ganzheitliche Betrachtung der Veränderung und empfahl den Einsatz von „Change Agents“ sowie (zeitlich befristet) „Floorwalkern“, die unmittelbar vor Ort präsent sein und bei Fragen oder Problemen als Ansprechpartner dienen sollten.
Das abschließende Resümee[5] seitens der Veranstalter hatte allein den Nachteil, dass dieser Tagungspart unidirektional gestaltet wurde, somit Fragen oder Anmerkungen und eine sich aus diesen ergebende Schlussdiskussion ausgeblendet respektive vermieden wurden.
[4] Zur Begriffsdefinition vgl. https://www.ibm.com/de-de/topics/what-is-a-digital-twin (Abruf vom 09.11.2022). Dort heißt es unter der Frage „Was ist ein digitaler Zwilling?“: „Ein digitaler Zwilling ist die virtuelle Abbildung eines Objekts oder eines Systems. Diese Abbildung umfasst seinen gesamten Lebenszyklus, wird aus Echtzeitdaten aktualisiert und setzt Simulation, maschinelles Lernen und Schlussfolgerungen als Unterstützung zur Entscheidungsfindung ein“.
[2] Vgl. hierzu auch Schlemmer, Martin, Ei und Henne. Beobachtungen zur gegenseitigen Beeinflussung von Schriftgutverwaltungstheorie, behördlicher Arbeitspraxis und technischen Rahmenbedingungen, in: Archivar 74,3 (2021), S. 202f.
Empfehlungen der Arbeitsgruppe Notfallvorsorge Kulturgut
Ein Gastbeitrag von Christiane Hoene
Neu erschienen ist das Positionspapier Risiko- und Krisenmanagement in Kulturgut bewahrenden Einrichtungen der seit 2021 bestehenden Arbeitsgruppe Notfallvorsorge Kulturgut. Es soll verdeutlichen: ein fest verankertes Risiko- und Krisenmanagement in Kulturgut bewahrenden Einrichtungen ist ein zentraler Baustein in der Krisenvorsorge. Das Papier fasst einige Grundzüge eines Risiko- und Krisenmanagements zusammen und soll eine Motivation sowie eine argumentative Grundlage gegenüber den Verantwortlichen (z.B. Einrichtungsleitung, Einrichtungsträgern) für eine Bereitstellung von Ressourcen (Personal, Haushaltsmittel, Aus- und Fortbildung) für das Thema Risiko- und Krisenmanagement bieten.
Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) vergibt mit Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) Stipendien für Geflüchtete aus der Ukraine. Das Programm spricht Einzelpersonen an, die eigene Vorhaben an den Orten und in Zusammenarbeit mit Archiven und Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland umsetzen möchten. Die Stipendien werden von September bis Dezember 2022 vergeben. Bibliotheken und Archive sind eingeladen, die Informationen weiterzuleiten und bei Interesse mit dem dbv in Kontakt zu treten. Antragsbeginn ist in der 35. Kalenderwoche. Weitere Informationen: https://www.bibliotheksverband.de/numo-stipendienprogramm-bibliotheken-und-archive-fuer-gefluechtete-aus-der-ukraine