POSITIONSPAPIER „KRITIS & KULTUR“

Allgemein

FÜR EINE STÄRKUNG DES TEILSEKTORS „KULTUR“ IM DACHGESETZ KRITIS

ein Gastbeitrag von Blue Shield Deutschland

Mit der Initiative für ein Dachgesetz KRITIS, die im
Dezember 2022 durch Bundesinnenministerin
Nancy Faeser verkündet wurde, will die
Bundesregierung „eine bundesgesetzliche
Regelung zum physischen Schutz Kritischer
Infrastruktur“ schaffen. Es ist vorgesehen, die
Kritischen Infrastrukturen (KRITIS), auf die sich
das Gesetz beziehen soll, zu identifizieren. Laut
dem zugehörigen Eckpunktepapier „wird auch
der KRITIS-Sektor „Kultur und Medien“
angemessen einbezogen.“
Dieser Zielsetzung wird der vorliegende
Referentenentwurf vom 28.07.2023 aus Sicht von
Blue Shield Deutschland nicht gerecht. Der
KRITIS-Sektor „Medien und Kultur“ wird lediglich
in § 5 Absatz 2 in einer Aufzählung mit anderen
„Bereichen“ aufgeführt bzw. wird nicht
unterschieden zwischen der Einstufung als
KRITIS-Sektor und den anderen Bereichen. In der
Begründung zu § 5 Absatz 2 werden die weiteren
Einrichtungen, die in Deutschland „für Wirtschaft
und Gesellschaft wichtig und schützenswert“
sind, wie z. B. die Kulturgut bewahrenden
Einrichtungen des Teilsektors „Kultur“, nicht
erwähnt. Die Erläuterungen im 1. Absatz der
Begründung zu § 5 Absatz 2 stehen in keinem
inhaltlichem Zusammenhang mit dem Teilsektor
„Kultur“ und die Erläuterungen im 2. Absatz
wiederholen lediglich den Gesetzestext in § 5
Absatz 2.
Nach unserer Einschätzung kann hierdurch der
Eindruck entstehen, dass der Teilsektor „Kultur“
kein vollwertiger Bestandteil der Kritischen
Infrastrukturen in Deutschland ist, eine
problematische Entwicklung für die Kulturgut
bewahrenden Einrichtungen.

Wir betonen, dass Kulturgut und Kulturgut
bewahrende Einrichtungen Bestandteil der KRITIS
sind. Die Beschädigung, Zerstörung und der
Verlust von Kulturgut haben dramatische Folgen
für das Funktionieren einer modernen
Gesellschaft, auch wenn ihr Ausfall keine
unmittelbare Auswirkung auf „Leib und Leben“
der Bevölkerung hätte. Sie sind zu schützen,

• weil „aufgrund ihrer kulturellen und
identitätsstiftenden Bedeutung ihre
Zerstörung eine Gesellschaft emotional
erschüttern und psychologisch nachhaltig
aus dem Gleichgewicht bringen kann“

• weil Kulturgut das kulturelle, kollektive
Gedächtnis von Gemeinschaften bildet und
Kulturgut bewahrende Einrichtungen den
Zugang zu historischen Informationen für
eine mündige, demokratische Gesellschaft
sichern

• weil Kulturgut zu den kulturellen und
materiellen Vermögenswerten Deutschlands
gehört, und daher vor Zerstörung,
Beschädigung oder Verlust zu schützen ist.

Neben diesen allgemeinen Funktionen
unterstützen die verschiedenen Arten von
Kulturgut und Kulturgut bewahrenden
Einrichtungen unser Gemeinwesen durch ihre
spezifischen Aufträge.
• Die dauerhafte Absicherung von Unterlagen
mit bleibendem Wert ist eine gesetzliche
Pflichtaufgabe eines Archivs: Diese Aufgabe
gewährleistet Rechtssicherheit und hält die
Dokumentation der „Kontinuität in Recht,
Verwaltung und Politik“ aufrecht. Somit
schaffen Archive die Grundlagen einer
beweissicheren Rechtsprechung für die
Regierung und Verwaltung, der Sicherung
berechtigter Belange betroffener Personen
und Institutionen und weiterhin auch einer
quellengestützten historischen Forschung
über die Entstehung und Entwicklung
unseres Landes und lokaler Gemeinschaften.


• Bibliotheken bewahren weite Teile des
schriftlichen und gedruckten Kulturerbes
Deutschlands. Sie garantieren zudem
rechtlich gesicherte Zugänge zu
Informationen und unterstützen so die
Handlungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft, Wirtschaft und Bildung in Krisenzeiten. Bedeutende historische Bestände
und über Jahrhunderte tradierte Pflichtexemplarrechte bilden den Grundstein zur
Sicherung der Wissensbestände der
Vergangenheit und der Zugänglichkeit des
Wissens in der Gegenwart.


• Museen sammeln und bewahren die
materielle Überlieferung von Kultur und
Natur, sie dokumentieren darüber hinaus
das immaterielle Kulturerbe. Damit liefern
sie die unverzichtbare Grundlage für die
Erforschung der Vergangenheit und zur
Gewinnung von Einsichten in zukünftige
Entwicklungen. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung sind beispielsweise im
deutschen Kulturgutschutzgesetz alle Sammlungsobjekte öffentlich finanzierter
Kulturgut bewahrender Einrichtungen als
„nationales Kulturgut“ vor Verlust durch
unrechtmäßige Verbringung aus
Deutschland geschützt.


• Unser denkmalgeschütztes Kulturgut
begründet als Zeugnis menschlichen
Wissens und Könnens unser gemeinsames
kulturelles Erbe. Es verkörpert Traditionen,
Werte und Selbstverständnis unserer
Gesellschaft; in Gestalt von Bau- und
Bodendenkmalen vermittelt es als historisch
gewordene, vertraute Umwelt Halt in Zeiten
des rasanten Wandels. Unser kulturelles
Erbe ist somit von existentieller Bedeutung
für unsere Gesellschaft und Teil der KRITIS

Obwohl diese Funktionen für die jeweiligen
Sparten weithin anerkannt und kommuniziert
sind, haben sie bisher unzureichenden Eingang in
die öffentliche Planung für das Krisenmanagement gefunden.
Blue Shield Deutschland ist sich bewusst, dass
nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland die Länder für die Kultur und damit
auch für Kulturgüter und die Kulturgut
bewahrenden Einrichtungen zuständig sind, der
Bund dagegen nur über sehr eingeschränkte
Kompetenzen in diesem Bereich verfügt. Dies
begrenzt die Regelungen, die das Dachgesetz
KRITIS für den Teilsektor Kultur treffen kann.
Gleichzeitig wird das Dachgesetz aufgrund seines
grundlegenden Charakters die Wahrnehmung
darüber prägen, welche Sektoren für unser
Gemeinwesen entscheidend sind.
Da der Referentenentwurf bisher auf eine
grundsätzliche Listung aller kritischen Sektoren
verzichtet, kann der Eindruck entstehen, dass
der Sektor „Kultur und Medien“ nicht mehr Teil
der KRITIS ist. Um diese negative Entwicklung zu
vermeiden, empfehlen wir die Einfügung einer
solchen Aufzählung, für den Teilsektor „Kultur“
natürlich verbunden mit dem Hinweis auf die
Zuständigkeit der Länder, wie in § 5 Absatz 2 des
Referentenentwurfs angelegt.

Weiterhin sehen wir einen deutlichen
Nachbesserungsbedarf bei der Begründung zu
§ 5 Absatz 2. Diese sollte den Teilsektor Kultur
sowie die Schutzwürdigkeit von Kulturgütern
und Kulturgut bewahrende Einrichtungen
explizit erwähnen und deren Bedeutung für das
Gemeinwesen aufbauend auf dem bestehenden
Einvernehmen zwischen Bund und Ländern im
Rahmen der KRITIS-Strategie feststellen.

Neben der oben ausgeführten Bedeutung von
Kulturgütern und Kulturgut bewahrenden
Einrichtungen begründen wir diese beiden
Änderungsvorschläge mit folgenden Punkten:


• Auf Bundesebene gibt es Kulturgut
bewahrende Einrichtungen, für die eine
Zugehörigkeit zur KRITIS geprüft werden
sollte. Hierzu gehören u. a. das
Bundesarchiv, Bibliotheken und Museen in
Trägerschaft des Bundes (darunter das
Deutsche Historische Museum, das Haus der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
die Deutsche Nationalbibliothek, die
Bibliothek des deutschen Bundestages) und
der Zentrale Bergungsort im Oberrieder
Barbarastollen.


• Die Länder sollten stärker ermutigt werden,
eigene Regelungen – bestenfalls in einem
miteinander abgestimmten Vorgehen – zu
treffen. Dies könnte z. B. im Rahmen der
Brand- und Katastrophenschutzgesetze
erfolgen.


• Es sollte angeregt werden, die teils
veralteten Listen der Kulturgüter, die unter
dem Schutz der „Haager Konvention zum
Schutz von Kulturgut bei bewaffneten
Konflikten“ (1954) stehen, zu überprüfen
und etwaige Schutzmaßnahmen im Kontext
des Dachgesetzes KRITIS neu zu bewerten.


• Es gibt zahlreiche Anlagen der KRITIS, die
nach den Denkmalschutzgesetzen der
Länder als Denkmäler gelistet sind. Es sollte
ein fachlicher Austausch angeregt werden,
um Synergien zwischen KRITIS und
Denkmalschutz zu stärken und potentielle
Konflikte zu vermeiden.

Durch die Berücksichtigung unserer Änderungsempfehlungen sichert das Dachgesetz KRITIS den
gegenwärtigen Stand des Kulturgutschutzes im
Rahmen der kritischen Infrastrukturen.

Blue Shield Deutschland
Dieses Positionspapier wurde durch den Vorstand
des Deutschen Nationalkomitee Blue Shield (Blue
Shield Deutschland) e.V. entwickelt. Blue Shield
Deutschland setzt sich auf nationaler und
internationaler Ebene für den Schutz von
Kulturgut gemäß der Konvention zum Schutz von
Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14.
Mai 1954 (Haager Konvention) ein. Darüber
hinaus setzen wir uns für regionalen, nationalen
und internationalen Kulturgutschutz ein und
stärken dessen Reaktionsfähigkeit in Krisen- und
Friedenszeiten. Hierfür vernetzen wir Akteure aus
den Bereichen des Kulturerbes und des Krisenund Notfallmanagements.
Diese Ziele verfolgen wir zusammen mit unseren
sechs konstituierenden Mitgliedern und ihren
weit über 12.000 Mitgliedern: dem Verband
deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.
(VdA), dem Deutschen Bibliotheksverband (dbv),
der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz
(DGKS), dem Deutschen Nationalkomitee des
Internationalen Museumsrates ICOM, dem
Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS und der
Deutschen UNESCO- Kommission.

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