„Fotografien vom Archiv“

Archivwahrnehmung, Öffentlichkeitsarbeit

Eine „Berufsbilddiskussion“ anderer Art
bluearchives1
Prolog
Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts plante der Arbeitskreis der kommunalen Archive im heutigen Rhein-Kreis Neuss die Herausgabe eines Archivführers. Für die Bebilderung wurde der  heimische Fotograf Andreas Woitschützke gewonnen. Der Besuch im Gemeindearchiv Jüchen war das erste Zusammentreffen zwischen einem Fotograf und mir als Archivaren. Es entstand u. a. eine Aufnahme mit einem Fischaugenobjektiv, die mich zwischen den Regalen stehend und in einer Akte lesend zeigte.  Dieses Bild war die einzige, „verfremdete“ Aufnahme, die Einzug in die Publikation fand. Das Interesse an künstlerich gestalteten Fotografien, die sich mit dem Themenkomple „Archiv(ar)“ widmen, war bei mir geweckt.

Noch im Jüchener Gemeindearchiv kam der Fotograf Gert Behr auf mich zu, um ein Fotoserie zu erstellen, die mit dem Klischee des Archivars spielte. Gert Behr hatte für das Gemeindearchiv Reproarbeiten und Dokumentationsaufträge übernommen. Für den mit Preisen ausgezeichneten Foto“amateur“ wurde auch diese Serie ein Erfolg und mich bestärkte sie darin bei Fotoarbeiten im Archiv auf fotografische Qualität Wert zu legen.

Ar-schiefe 2006
Plakat 6b KopieNach meinem Stellungswechsel an das Kreisarchiv Siegen Wittgenstein (2002) beabsichtigte auch der dort neugegründete regionale Archivarbeitskreis die Herausgabe eines „Archivfinders“. In der Redaktion war man sich einig, dass die Bebilderung sich von den üblichen, dokumentarischen Fotos abheben sollte. Im Kreisarchiv war der Siegener Fotograf Thomas Kleynen mit einem interessanten Projekt zum Tag des offenen Denkmals bekannt. Kleynens Arbeit nutzt die Möglichkeiten der digitalen Fotografie und zeichnete sich durch eine ironische Distanz zum Thema aus. Neben der Bebilderung der Publikation, der zwangsläufig hochwertige Aufnahmen zum Opfer fallen mussten, wurde vorab eine Ausstellung des Fotografen als „directors cut“ vereinbart. VdA-Vorstandsmitglied Clemens Rehm konnte für die Einführung in die Ausstellung gewonnen werden. Dessen überaus lesenswerte Betrachtung findet sich hier: „Nicht Fotografien „im“ Archiv sondern Fotografien „vom“ Archiv! Anmerkungen zur Fotoausstellung „Ar-schiefe oder warum gerade Archive und nicht schiefe Geraden?“ des Künstlers Thomas Kleynen, in: Siegener Beiträge, Jahrbuch für regionale Geschichte Bd. 13/14 (2008/2009), Siegen 2009, S 271-278.
Bemerkenswert war die Reaktion auf die Bebilderung der Publikation. Während das archivische und historische Fachpublikum eher reserviert die wenig dokumentarischen Bilder aufnahm, zeigte sich breite Öffentlichkeit von der neuartigen Sicht auf die Archive positiv überrascht.
Eigentlich sollte dies ein Ansporn sein, auf diesem Weg fortzufahren. Bedauerlicherweise haben sich bis jetzt weder die Gelegenheit noch die notwendigen Ressourcen ergeben, um mit regionalen Fotografen zusammen zu arbeiten.

Archivische Fotoprojekte
Spannende Vorhaben sind aber weiterhin realisiert worden:
2011 fotografierte Anja Bohnhof die Archive der DDR-Geschichte. Sachlich distanziert näherte sie sich diesen geheimnisvollen Orten. Ich kann den Fotoband nur empfehlen.
Zwei Jahre später konnte der Arbeitskreis Bremer Archive Pia Pollmanns Arbeiten präsentieren. Die Ausstellung „was bleibt“ wurde von September 2013 bis Januar 2014 in der Bremer Weserburg gezeigt. Die künstlerische Diplomarbeit konzentriert sich in einheitlicher Bildsprache auf die Aspekte Raum, Struktur und Inhalt der Bremer Archive. Eine Veröffentlichung ist mir nicht bekannt – leider.
Ebenfalls 2013 erlaubte der Fotoband „File room“ von Dayanita Singh mit beeindruckenden Schwarzweißbildern einen Blick in die Welt der indischen Archive.

guetersloh
In diesem Jahr legte der Arbeitskreis der Kommunalarchive im Kreis Gütersloh einen Archivführer vor, dessen originellen Fotografien einen neuen Blick auf die Arbeit der Kommunalarchive vermitteln. Sie stammen vom Gütersloher Fotografen Detlef Güthenke. Mir gefallen die Positionierungen der Kolleginnen und Kollegen in den Bildern – mein Favorit: die Kollegin auf (!) der Regalanlage!
feiglEbenfalls in diesem Jahr zeigte das Staatsarchiv Ludwigsburg die Ausstellung „Geschichte machen“ des Fotografen Joachim Michael Feigl. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten stehen die Menschen, die in diesen Einrichtungen arbeiten und mit der Übernahme, Bewahrung und Zugänglichmachung historischer Dokumente „Geschichte machen“. Eingefangen hat er aber immer auch das Ambiente in den ganz unterschiedlichen Archiven. Ein Katalog ist erschienen.

Fazit
Wenn ich nun nach dieser womöglich sogar unvollständigen Zusammenstellung zwei Wünsche frei hätte, dann wünsche ich mir zuerst, dass sich immer mehr Archive auf die Zusammenarbeit mit Fotografinnen und Fotografen einlassen. Lassen wir die Verwirklichungen der Bildideen zu. Alle hier genannten Ergebnisse dienen mit ihrer Ästhetik und mit ihrem Humor einer weniger klischeebehafteten Wahrnehmung der Archive in der Öffentlichkeit. Zudem eröffnen sie Kooperationsmöglichkeiten zwischen Fotografierenden und Archivierenden.
Mein zweiter Wunsch ist eine Ausstellung der hier genannten Arbeiten (gerne auch in Auswahl) an einem Ort. Ein Vergleich der sehr unterschiedlichen Herangehensweisen ist m. E. spannend und bereitet im besten Fall den Weg für neue Projekte künstlerischer Fotografie in und von Archiven.

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