Rückblick auf das 23. Kolloquium der Archivschule Marburg

Aktuelles, Allgemein

ein Gastbeitrag von Christian Rausch

Am 5. und 6. Juni 2018 richtete die Archivschule Marburg – Hochschule für Archivwissenschaft bereits zum 23. Mal ihr jährliches Kolloquium aus. In diesem Jahr wurden über 267 Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfangen, die sich in bester Stimmung zum Thema „E-Government und digitale Archivierung“ austauschten.

Dabei wurde deutlich, dass sich die Archivarinnen und Archivare inzwischen sehr differenziert mit den Chancen und Risiken dieses Paradigmenwechsels auseinandersetzen. Das Kolloquium bot hierbei vielfältige Möglichkeiten zur Diskussion der großen Zusammenhänge, wie der Digitalisierung und ihrer staatlichen Umsetzung durch etwa die Einführung der E-Akte, und hierdurch neu entstandener Detailfragen, wie etwa der Zuständigkeit für Erhaltungsmöglichkeiten des erhöhten Beweiswerts digitaler Dokumente.

Das Podium beim 23. Archivwissenschaftl. Kolloquium. Foto: Archivschule Marburg

Zunächst wurden die Gäste empfangen mit Grußworten der Leiterin der Archivschule, Dr. Irmgard Christa Becker, des Marburger Oberbürgermeisters Dr. Thomas Spieß sowie des Vorsitzenden des Ausschusses „Digitale Archive“ bei der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA), Dr. Kai Naumann. Hierauf folgten Eröffnungsvorträge vom Co-CIO der hessischen Landesregierung, Roland Jabkowski, der die Weichenstellungen des Landes auf dem Weg zur digitalen Verwaltung erläuterte, und von Dr. Sebastian Gleixner vom Bundesarchiv, der den Paradigmenwechsel nachzeichnete, den die Digitalisierung für Gesellschaft und Archiv mit sich bringt.

In der ersten Sektion ging es dann zunächst um die rechtlichen Anforderungen bei der digitalen Archivierung. Hannes Berger von der Universität Erfurt führte in das Thema aus staatsrechtlicher Perspektive ein. Steffen Schwalm vom Fraunhofer-Institut für Offene Informationssysteme (FOKUS) stellte Normen zur Sicherung von Vertrauenswürdigkeit und Beweiswerterhaltung im digitalen Raum vor. Prof. Dr. Thomas Henne von der Archivschule Marburg erläuterte die juristischen Anforderungen für den erhöhten Beweiswert von Unterlagen, den man durch Verfahren der digitalen Archivierung erhalten kann. Diese Sektion endete in einer lebhaften und kontroversen Diskussion zwischen Podium und Plenum über die Frage, in die Zuständigkeit welcher Fachdomäne diese mögliche neue Anforderung denn falle.

Sektion 2 beschäftigte sich mit Verfahren der Aussonderung digitaler Unterlagen. Dr. Kai Naumann moderierte Vorträge an, die Einblicke in die Übernahmepraxis zu unterschiedlichen digitalen Unterlagenarten erlaubten. Dr. Verena Schweizer vom Landesarchiv Baden-Württemberg berichtete über die Entwicklung eines Workflows zur Aussonderung von E-Akten. Dr. Siegrid Schieber vom Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden versuchte sich in einem abwägenden Urteil über Chancen und Risiken von Automatisierungen und Standardisierungen digitaler Übernahmen. Frank Lehmann Vom sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden berichtete über ein Übernahmeprojekt digitaler Orthofotos und Dr. Walter Bauernfeind vom Stadtarchiv Nürnberg schilderte die inzwischen zehnjährige Arbeitspraxis seines Archivs im Umgang mit digitalen Akten.

Nach einem ereignisreichen ersten Kolloquiumstag traf man sich noch zu Speis und Trank vor Marburgs schönem Altstadtambiente.

Der nächste Tag begann mit zwei parallelen Sektionen zu Strukturproblemen der Behördenberatung im Kontext digitaler Archivierung. Die erste, von Dr. Karsten Uhde moderierte, Teilsektion widmete sich Erfahrungen bei der Einführung von Maßnahmen des E-Government. Dr. Martin Schlemmer stellte thematische Ansatzpunkte, Maßnahmen und Organisation der Behördenberatung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen vor. Dr. Jan Ludwig erläuterte die Auswirkungen der E-Akten-Einführung auf die Rollen des Bundesarchivs in der Behördenberatung, die Übernahme in das Digitale Zwischenarchiv des Bundes sowie die eigene Aktenführung des Bundesarchivs. Dr. Alexandra Haas schilderte im Rahmen Ihrer Vorstellung der digitalen Behördenberatung des Kreisarchivs Esslingen dessen organisatorische Einbindung in die Schriftgutverwaltung seines Trägers sowie der kreiszugehörigen Kommunen.

Das Kolloquium stieß auf reges Interesse. Foto: Archivschule Marburg

Parallel zu Dr. Uhde moderierte Dr. Robert Meier von der Archivschule Marburg eine zweite Teilsektion, die ebenfalls Praxisbeispiele aus diesen drei Verwaltungsdimensionen diskutierte. Jörg Filthaut vom Landesarchiv Thüringen veranschaulichte die steigende Komplexität digitaler Übernahmen. Dr. Benjamin Bussmann vom Historischen Archiv der Stadt Köln beschrieb die Herausforderungen eines erfolgreichen Akzeptanzmanagements bei der Einführung der E-Akte. Dr. Krystyna W. Ohnesorge vom Schweizerischen Bundesarchiv schließlich fokussierte auf den Möglichkeiten für Transparenz und Partizipation, die das digitale Zeitalter beispielsweise für die Überlieferungsbildung eröffnet. Hierzu wurde im weiteren Verlauf der Tagung noch diskutiert, ob und inwiefern dies demokratische Impulse in die Entscheidungen zur Überlieferungsbildung bringen könnte, und ob dies überhaupt sinnvoll wäre.

Sektion 4, als letzte Sektion des Tages, gliederte sich ebenfalls in zwei Teilsektionen und fokussierte die Zusammenarbeit zwischen den drei Verwaltungsebenen: Bund, Länder und Kommunen. Dr. Niklas Konzen von der Archivschule Marburg moderierte die erste Teilsektion, in der zunächst Dr. Bernhard Grau von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns am Beispiel elektronischer Unterlagen der Justiz veranschaulichte, welche Herausforderungen ein Verwaltungsebenen übergreifendes Zusammenspiel verschiedenster Stellen bereithält. Ulf Preuß von der Fachhochschule Potsdam berichtete anschließend von spartenübergreifenden Ansätzen zur Zusammenarbeit digitaler kultureller Registraturbildner jenseits der staatlichen Archivverwaltung.

Prof. Dr. Thomas Henne moderierte derweil die zweite Teilsektion mit Vorträgen von Wolf Steinbrecher, Forum Agile Verwaltung, und Dr. Anna Zeglinska von der Uniwersytet Warminsko-Mazuski w Olstynie (Polen), die zum Ende des Kolloquiums noch einmal zwei erfrischend andere Perspektiven erlaubten: Einerseits die Thematisierung der Digitalisierungsstrategie für die Verwaltung, diesmal nicht als Bürde sondern als Chance, die dem ungesteuerten Wildwuchs digitaler Angebote unserer Gesellschaft eine zielgerichtete Entwicklungsplanung ermöglicht. Andererseits wurde ein Überblick über das Thema E-Government und Digitale Archivierung bei unserem polnischen Nachbarn gegeben, zu dem ein Blick über den Tellerrand lohnt. Denn dort arbeitet man übrigens zeitgleich an denselben Herausforderungen.

Mit einer gemeinsamen Abschlussdiskussion banden die Moderatoren der Sektionen ihre jeweiligen Teilergebnisse an das versammelte Plenum zurück und schlugen so für alle Teilnehmer des 23. Archivwissenschaftlichen Kolloquiums gewissermaßen eine Brücke zwischen den räumlich getrennten Diskussionsverläufen und den unterschiedlichen Verwaltungsperspektiven  zum E-Government – während, wie man im Kolloquium erfahren durfte, Marburg seine steinernen Brücken dieser Tage zur Renovierung geschlossen hat.

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